in puncto dzb lesen - 02 / 2022

02 2022

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

mit dem Start unserer Großdruck-Ausleihe kommen wir endlich dem Wunsch vieler unserer sehbehinderten Nutzerinnen und Nutzer nach. Auf sie wartet nun ein Angebot, das sich ständig erweitert. Erfahren Sie mehr darüber und schauen Sie hinter die Kulissen unserer Großdruck-Bibliothek. Neu gestartet ist auch unser Infomobil. Im neuen Outfit ist es seit Anfang April wieder durch Mitteldeutschland unterwegs, um das Literaturangebot und die Services des dzb lesen zu präsentieren. Vielleicht möchten auch Sie, dass es einmal in Ihrer Stadt vorbeikommt? Lesen Sie mehr dazu!
Eskandar Abadi, Übersetzer, Musiker und Autor, ist mit 20 Jahren aus dem Iran nach Deutschland gekommen. Wir stellen ihn und sein neues Buch vor. Im Interview erfahren Sie mehr über sein Verhältnis zur Iranischen Revolution, seine Leidenschaft zur Musik, sein Leben in zwei Kulturen. Am Schluss unserer Ausgabe wird es technisch. Wir liefern Ihnen ein Testergebnis für Hable One, eine Brailletastatur die über Bluetooth an ein Smartphone angeschlossen wird und ohne Screenreader funktioniert.

Ich hoffe, Sie können in diesen Zeiten, in denen ein Krieg in Europa die Welt in Atem hält, mit dieser Lektüre kräftig durchatmen.

Viele Grüße

Ihre Gabi Schulze
Redakteurin „in puncto dzb lesen“

Im Fokus

Großdruck-Ausleihe startet ab Juni

Ein Beitrag von Gabi Schulze

Lesen soll entspannen und nicht anstrengen! Auch Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit können ihre Lieblingslektüre genießen. Die neue Großdruck-Bibliothek des dzb lesen bietet seh- und lesebehinderten Menschen eine vielfältige Auswahl an Großdruck-Literatur mit Büchern von Agatha Christie und Charles Dickens, über Umberto Eco und Andrea Camilleri, Dora Heldt und Jonas Jonasson, bis hin zu Daniela Krien und Ingo Schulze. Ungefähr 300 Titel bilden den Auftakt der Großdruck-Bibliothek. Darunter befinden sich zur Hälfte Romane, rund ein Drittel sind Kinder- und Jugendbücher und der Rest Sachbücher.
„Mit der Großdruck-Ausleihe kommen wir dem Bedürfnis seh- und lesebehinderter Menschen nach Lesestoff in großer Schrift nach“, sagt Christiane Felsmann, Leiterin von Bibliothek-Beratung-Verkauf. „Hauptmerkmale der Großdruckbücher sind eine Schriftgröße von mindestens 17 Punkt und eine sorgfältige Auswahl der Titel. Ziel des Projektes war es ein nutzerorientiertes Angebot über einen ansprechenden Online-Katalog zu schaffen.“

Eine hat den Hut auf

Das Projekt „Großdruck-Ausleihe“ nahm vor knapp einem Jahr mit Silvana Kühne als Projektleiterin seinen Anfang. Für die studierte Bibliotheks- und Informationswissenschaftlerin war es das erste Projekt im dzb lesen, aber lange nicht das erste in ihrer beruflichen Laufbahn. In der Bibliothek der Hochschule für Technik, Wissenschaft und Kunst (HTWK) war sie für das Team- und Medienmanagement verantwortlich, hat die Einführung einer neuen Software und die Katalogumstellung sowie den Relaunch der neuen Webseite koordiniert und war nebenbei noch stellvertretende Bibliotheksleiterin. Berufsbegleitend studierte sie Crossmedia-Management.
Nach 15 Jahren hat sie im dzb lesen einen Neuanfang gewagt. „Ich wollte etwas Neues machen. Die Arbeit im dzb lesen ähnelte der in der Hochschulbibliothek, aber ist doch in einem ganz anderen Bereich. Ich dachte, hier kann ich noch mehr bewirken und anderen Menschen mit meiner Arbeit helfen“, sagt Silvana Kühne und lächelt dabei. Sie beschäftige sich im Projekt vor allem mit Management- und Koordinierungsaufgaben. Dazu gehören Konzepte zu erarbeiten, Schnittstellen zwischen den Fachleuten zu betreuen, Termine zu überwachen. „Ich musste den Fachleuten der verschiedenen Bereiche Aufgaben übermitteln und mit ihnen Ergebnisse abstimmen. Ich habe versucht, dass alle Vorgänge ineinandergreifen und alles zum Termin fertig ist und wir nicht in Rückstand kommen.“

Was steckt hinter den Kulissen der Ausleihe?

Die Großdruckbücher, die ab Juni zur Ausleihe bereitstehen, wurden zur Hälfte im dzb lesen produziert. Jedes Jahr kommen rund 70 Titel hinzu, vor allem Kinder- und Jugendbücher, wie beispielsweise von Kirsten Boie, Maria Parr, Silke Lambeck, Anna Woltz und Isabel Abedi, gehören zur näheren Auswahl. Die andere Hälfte der Bücher hat das dzb lesen von der Schweizerischen Bibliothek für Blinde, Seh- und Lesebehinderte in Zürich (SBS) im Austausch mit Großdruckbüchern aus dem dzb lesen erworben. Die Zusammenarbeit soll auch in Zukunft weitergeführt werden.
Damit die Ausleihe funktioniert, mussten die Bücher in der Bibliothek katalogisiert, deren Daten in das Bibliothekssystem eingearbeitet, die Programmierarbeiten in den Systemen und Datenbanken organisiert und getestet werden. Wenn Silvana Kühne ihren Aufgabenbereich erläutert und Arbeitsabläufe in Bibliotheks- und Verwaltungssystemen – für Laien ein Buch mit sieben Siegeln – erläutert, klingt das vermeintlich abstrakt Theoretische sehr verständlich und praktisch. So berichtet sie, dass die Ausleihe der Großdruckbücher on Demand erfolgt. Das heißt: Erst wenn ein Buch über den Online-Katalog ausgeliehen wird, erfolgt der Druck des Buches. Nutzerinnen und Nutzer, die einen Nachweis ihrer Seh- oder Lesebehinderung erbracht und im dzb lesen angemeldet sind, erhalten die gewünschten Bücher in wiederverwendbaren Versandtaschen, die auch für die Rücksendung verwendet werden. Alle Produktionsabläufe, angefangen von der Katalogisierung über die Produktion bis zum Versand des Buches hat Silvana Kühne gemeinsam mit den Programmentwicklern sowie ihren Kolleginnen und Kollegen im dzb lesen getestet.
Andere Herausforderungen, wie zum Beispiel den Online-Großdruckkatalog auf der Internetseite sichtbar zu machen, erfordert neben kreativen Ideen auch analytisches Denken. Welche Funktionen brauchen die Internetseiten, damit die Titel benutzerfreundlich und barrierefrei ausgeliehen werden können? Diese Vorgaben entwickelte Silvana Kühne im kleinen Team und übergab deren Umsetzung an die Fachleute im Informatik-Bereich.

Das nächste Projekt kommt bestimmt

Fragt man Silvana Kühne, was das Schwierigste für sie im Projekt war, dann antwortet sie ohne Umschweife: „Ich war neu im Haus, musste herausfinden, wie das Haus funktioniert und wer wann für mich der richtige Ansprechpartner ist. Das war schon eine Herausforderung!“
Menschen mit eingeschränkter Seh- und Lesefähigkeit können nun nach Herzenslust schmökern. Ganz egal ob sie Krimis oder eine romantische Geschichte lieben. Und ist ein Titel mehrmals ausgeliehen, dann wird er vorgemerkt und sobald als möglich verschickt. Die Abläufe, die im Hintergrund stattfinden, hat Silvana Kühne gemeinsam mit Fachleuten koordiniert. „Es ist ein gutes Gefühl, wenn das Projekt zu Ende geht und alle Prozesse laufen wie vorgesehen ab“, meint die Expertin. „Es folgen sicher noch einige Nachjustierungen und Anpassungen. Aber ich freue mich schon auf das nächste Projekt, die Umstellung der Braille-Medien-Ausleihe auf das System dibbs. Hier können viele Vorgänge ähnlich denen im Großdruck angepasst werden.“ Zweifellos: Ideen dafür hat sie schon!

Kurz gemeldet

Buntes Programm am Tag der offenen Tür

Nach einer langen pandemiebedingten Pause wird es in diesem Jahr wieder einen Tag der offenen Tür im dzb lesen geben. Am 3. September öffnen wir unsere Türen in der Leipziger Gustav-Adolf-Straße 7 und laden unsere Nutzerinnen und Nutzer, deren Familien und alle Interessierten in unser Haus ein. Die Gäste erwartet an diesem Tag von 10 bis 16 Uhr ein abwechslungsreiches, buntes Programm mit Flohmarkt des Lion-Clubs „Felix Mendelssohn Bartholdy“, Vortrag bzw. Lesung, Mitmach-Aktionen für Jung und Alt, beispielsweise ein Blindenparcour der Christoffel Blindenmission. Hilfsmittelaussteller präsentieren ihre Produkte. Gäste können hinter die Kulissen des traditionsreichen Hauses schauen und erleben, wie Braille- bzw. Hörbücher entstehen und wie taktile Kinderbücher, Kalender sowie Atlanten hergestellt werden. Außerdem bieten wir Ihnen auch kulinarischen und musikalischen Genuss. Seien Sie uns im dzb lesen herzlich willkommen!

Neue taktile Ausmalbücher für Groß und Klein

Mit „Einfache Formen“, „Mandalas“ und „Ab in den Garten“ setzen wir die Reihe unserer tastbaren Ausmalbücher fort. Blinde, sehbehinderte sowie sehende Kinder, aber auch Erwachsene haben Spaß am Ausmalen von Motiven, die mit kontrastreichen taktilen Konturen aus schwarzem Lack gezeichnet wurden.

„Einfache Formen“ beinhaltet die Motive Kreis, Viereck, Dreieck, Tropfen, Herz, Kreuz, Blume und Stern. In „Mandalas“ können einfache Ornamente und Muster ausgemalt werden. „Ab in den Garten“ liefert typische Motive wie Baum, Käfer, Gießkanne, Vogel, Gummistiefel, Schmetterling, Erdbeere, Schnecke zum Ausmalen.
Drei taktile Ausmalbücher im handlichen Format für Zuhause und unterwegs!

Je eine Broschur mit Spiralbindung und 8 Motiven aus Relieflack, perforierte Seiten, Braille-Vollschrift und Großdruck, Format 22 x 21 cm, je 14,00 € (netto)
„Einfache Formen“ Verkauf 11380, „Mandalas“ Verkauf 11381, „Ab in den Garten“ Verkauf 11382

Punkt für Punkt: Alex und Lilani entdecken die Welt der Buchstaben

Alex ist ein kleiner Punkt, Lilani, seine Freundin, eine Linie. Beide gehen auf Entdeckungsreise und erleben viele Abenteuer: Sie reisen zu den Musterinseln, sind auf dem Rummelplatz und im Land der Unterschiede unterwegs, entdecken Geheimnisse im Formenland, zählen im Würfelschloss und erleben Überraschungen im Buchstabenwald.

Mitmach-Geschichten regen sehende, blinde und sehbehinderte Kinder an, jede der farbenkräftig und tastbar gestalteten Seiten mit ihren Fingern bzw. Augen zu entdecken. Sie können verschiedene Muster und Begrifflichkeiten unterscheiden, Linien verfolgen, Formen und Buchstaben erkennen. Auf spielerische Art lernen sie ganz nebenbei die Braille- und Schwarzschrift kennen.

Diese kindgerechte inklusive Lernmittelreihe zur Frühförderung blinder und sehbeeinträchtigter Kinder wurde von einem internationalen Forschungsteam der Hochschule der Künste Bern und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg entwickelt. Sie soll Vorschulkindern den Einstieg in die Brailleschrift erleichtern und spielerisch den Tastsinn fördern.

Eine faszinierende Entdeckungsreise in eine farbenkräftige Welt mit unterschiedlich tastbaren Formen-, Linien- und Musterspielen! So wird das gemeinsame Tasten, Anschauen und Vorlesen zu einem besonderen Vergnügen!

Neun Bände im Schuber (Breite 250 x Höhe 345 x Tiefe 130 mm), Braille- und Schwarzschrift, tastbare kontrastreiche Illustrationen

Erscheint im Juli 2022, voraussichtlicher Preis: 225 Euro

Word-A-Round – ein Wortsuchspiel in Brailleschrift

Wer hätte gedacht, dass es so schwierig ist, ein Wort zu lesen, wenn es kreisrund geschrieben ist? Die Herausforderung bei Word-A-Round besteht darin, so schnell wie möglich herauszufinden, wo das Wort beginnt und es dann als Erster laut vorzulesen.

Die gesuchten Wörter in Brailleschrift sind zweizeilig und doch „kreisrund“ dargestellt. Der Finger folgt beim Lesen einer geschlossenen Linie: Entweder vom Ende der ersten Zeile gleich ans Ende der zweiten Zeile und von dort an den Anfang der zweiten Zeile. Oder vom Ende der zweiten Zeile gleich ans Ende der ersten Zeile und von dort an den Anfang der ersten Zeile.

Für bis zu 4 Spieler, ab 10 Jahre

Inhalt: Spielanleitung und Lösungsheft in Braille-Vollschrift, drei A4-Hefte pro Spieler mit insgesamt 300 Wörtern in Braille-Basisschrift

Preis: 7 Euro, Verkauf 11391

Digitaltag: Hörbücher und-zeitschriften mit Alexa genießen

Am 24. Juni 2022, dem bundesweiten Digitaltag, stellt das dzb lesen um 17 Uhr online seine Medien-Angebote und Services vor. Sie erfahren, wie Sie per Sprachsteuerung Hörbücher, -filme und -zeitschriften in unserem Online-Katalog suchen, ausleihen und anhören können. Mit Hilfe des Alexa-Skill und der smarten Echo Lautsprecher von Amazon gelingt der sprachgesteuerte Zugriff einfach und schnell.
Eine Anmeldung für die Online-Veranstaltung ist nicht erforderlich.

Weitere Informationen und der Zugangscode: https://digitaltag.eu/aktion/hoerbuecher-und-zeitschriften-mit-alexa-geniessen

Interview

Zwei Ameisen auf Reisen: Ringelnatz-Gedichte taktil illustriert

Lustige Gedichte machen Spaß und helfen gegen schlechte Laune. Sie kommen frisch und fröhlich daher und bringen Kinder und Erwachsene zum Lachen. Kennen Sie das Gedicht von den zwei Ameisen, die von Hamburg aus nach Australien reisen wollen? Ihre Reise findet allerdings schon in Altona ein jähes Ende, weil den beiden die Beine schmerzen.
Ein lustiges Gedicht von Joachim Ringelnatz – zu finden in dem Anfang Juni im dzb lesen erscheinenden taktilen Kinderbuch „Zwei Ameisen auf Reisen“. Es beinhaltet neben diesem noch weitere fünf kurze Tiergedichte von Joachim Ringelnatz, Janosch, Christian Morgenstern, Erwin Moser und Josef Guggenmos in Braille-Vollschrift und Großdruck.
So witzig wie die kurzen Gedichte sind, erscheinen auch die aus verschiedenen Materialien farbenfroh gestalteten Tierillustrationen.
Ein taktiles Bilderbuch zum Blättern, Vorlesen, Tasten, in dem sowohl sehende als auch blinde und sehbehinderte Kinder ab drei Jahren lustige Gedichte entdecken und Illustrationen von Tieren ertasten können.

Idee und Konzept des Buches stammen von Verena Zimmermann. Sie hat die Gedichte ausgewählt und die Illustrationen entworfen. Verena Zimmermann studiert Spiel- und Lerndesign (Master) an der Burg Giebichenstein, Kunsthochschule Halle. Für ihr taktiles Bilderbuch erhielt sie im letzten Jahr den Grassi Nachwuchspreis, den Preis der Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt sowie einen der drei Preise des Stadtmuseums Halle. Gabi Schulze hat die Künstlerin für „in puncto dzb lesen“ interviewt.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem dzb lesen? Und warum haben Sie ein taktiles Bilderbuch entworfen?

In meinem 2. Semester ging es um das Thema Lesen. Mit Büchern aufzuwachsen, ist ein Privileg und es bedeutet Geschichten zu erfahren, in andere Welten einzutauchen, zu entdecken, zu lernen und zu wachsen. Doch das können nicht alle Kinder erfahren. Als Designerin gestalte ich die Welt mit und habe dementsprechend auch eine Verantwortung für die Dinge, die ich mache. Daher ist es mir wichtig, dass ich da ansetze, wo ehrliche Mehrwerte entstehen. Barrierefreie Gestaltung ist für mich ein wichtiger Teil davon. Ich wusste, dass es kaum taktile Bücher für Kinder gibt, der Bedarf aber groß ist. Daher wollte ich genau daran arbeiten und ein Buch machen, dass für alle nutzbar ist. Ich traf mich mit der Designerin des dzb lesen Antje Mönnig, um herauszufinden, was es zu beachten gilt, wenn man taktile Bilderbücher gestalten möchte. Das hat mir sehr geholfen, in die Gestaltung meines Prototyps einzutauchen.

Das Buch gewann im Rahmen des Giebichenstein Designpreises 2020 gleich drei Preise, was mich sehr überwältigte. Das dzb lesen kam daraufhin auf mich zu und fragte an, ob sie die Herstellung des Buches übernehmen dürfen und ich habe zugesagt.

Wie haben Sie die taktilen Illustrationen entworfen? Waren erst die Bilder da und haben Sie danach die Tiergedichte gesucht oder andersherum?

Zuallererst waren die Gedichte da. Ich habe lange gesucht, um Gedichte zu finden, die sowohl von der Länge für mein Vorhaben geeignet waren sowie mir inhaltlich passend erschienen. Als ich dann eine kleine Sammlung zusammen hatte, fing ich an Skizzen zu machen und herauszuarbeiten, wie die einzelnen Tiere aussehen sollten. Danach baute ich kleine Mock-Ups (Anschauungsmodelle) von den jeweiligen Tieren um zu überlegen, aus welchen und wie vielen verschiedenen Elementen die taktilen Illustrationen bestehen sollen. Der aufwendigste Teil war allerdings die Suche nach passendem Material, das zu den jeweiligen Tieren passt. 

Warum haben Sie gerade Tiergedichte für Ihr Tastbilderbuch ausgesucht?

Generell mag ich Gedichte sehr gern. Ich finde es toll, wie sie mit Sprache spielen, kleine Geschichten in kurzen Worten transportieren und den Spaß an der Sprache fördern. Als ich in meiner Recherche herausfand, dass es bisher kein barrierefreies Gedichtebuch gibt, war dies auch ein Grund, genau das umzusetzen. Außerdem, so denke ich, bieten sich gerade Gedichte an, um einen Einstieg in die Brailleschrift zu finden, da man sie sich schnell merken und sich so mehr auf die Schrift konzentrieren kann.
Die Wahl fiel dann letztendlich auf Tiergedichte aufgrund der gestalterischen Umsetzung, vor allem in Bezug auf Materialität: Wie fühlt sich eine Schnecke an? Wie kann man eine Ameise taktil darstellen? Solche Fragen finde ich viel spannender als beispielsweise die taktile Übersetzung von Alltagsgegenständen, erwartet jedoch höheres Abstraktionsvermögen. Allerdings hat man so im Buch die Möglichkeit ein Nilpferd zu streicheln. Das ist doch toll! 

Welche Aufgaben übernahm das dzb lesen?

Das dzb lesen hat in dieser Kooperation zahlreiche Aufgaben übernommen. Zum einen kümmerte es sich um die Lizenzen der Gedichte. Des Weiteren wurde die gesamte Produktion des Buches vom dzb lesen übernommen. Mit eingeschlossen ist dabei die Überarbeitung der grafischen sowie taktilen Elemente des gesamten Buches, stets in enger Zusammenarbeit mit mir. Eine weitere Aufgabe des dzb lesen wird der Vertrieb des Buches sein.

Welches Tiergedicht in dem Buch gefällt ihnen am besten?

Am liebsten mag ich das Gedicht „Die Feder“ von Joachim Ringelnatz. Es handelt von einer Feder, die ein schlafendes Nilpferd wach kitzelt, um es zu necken. Dieses Gedicht bringt mich jedes Mal erneut zum Lachen.

Welches war Ihr Lieblingskinderbuch, als Sie selbst Kind waren? Gibt es aktuell eins?

Meine Lieblingskinderbücher waren allesamt von Astrid Lindgren: „Ronja Räubertochter“, „Wir Kinder von Bullerbü“ und natürlich „Pippi Langstrumpf“. Mein liebstes Bilderbuch war damals: “Murkel ist wieder da” von Dieter Schubert. Aktuell könnte ich mich auch gar nicht entscheiden, es gibt so viele wunderbare Kinderbücher. Aber welches mich immer und immer wieder neu berührt, ist die Geschichte vom kleinen Prinzen.

Vielen Dank, Frau Zimmermann!

Zwei Ameisen auf Reisen: und andere Tiergedichte für Kinder, 6 taktile Illustrationen, Großdruck und Brailleschrift in Braillelack, 20 Euro (netto), Verkauf 11186

Die Produktion des Buches wird durch den Förderverein des dzb lesen „Freunde des barrierefreien Lesens e. V.“ unterstützt. Helfen auch Sie mit einer Spende für dieses wunderbare Buchprojekt: https://buch-patenschaft.de/ameisen/! Dadurch helfen Sie, dass das Buch in einer weiteren Auflage produziert und kostengünstig verkauft werden kann. Und so schaffen es die zwei Ameisen vielleicht doch noch über Altona hinaus in die weite Welt …

In Aktion

Das dzb lesen auf Rädern unterwegs

Ein Beitrag von Gabi Schulze

Ein weißer Mercedes Sprinter von sechs Metern Länge steht bei schönstem Sonnenschein auf dem Hof des dzb lesen. Davor wedelt eine Werbefahne mit dem Logo des dzb lesen im Wind. Irgendwo in der Nähe startet ein Rasenmäher und tuckert vor sich hin. Am Stehtisch vor dem Infomobil lädt Jana Lorenz, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des dzb lesen ein, ihr neues fahrendes Büro zu besichtigen: „Hallo, geht gern mal hinein!“ Der Einladung wird gefolgt und schon stehen bzw. sitzen zunächst drei Personen im Infomobil, die anderen schauen von draußen zu. „Hier in den Schubladen sind die Ansichtsexemplare von Kinderbüchern in Großdruck und Brailleschrift, taktile Grußkarten, aber auch Hörproben von Abonnementzeitschriften.“ Sie zieht eine Schublade nach der anderen auf. „Hier unten habe ich Großdruckkalender verstaut.“ Das Infomobil ist geräumig, hat in der Mitte einen Tisch mit drei Sitzmöglichkeiten. Fahrer- und Beifahrersitz kann man zum Tisch drehen. Selbst Sitzkissen und Fußbänkchen fehlen nicht. Auf dem Tisch liegen ein Tablet und Smartphone. An den Seiten sind Fächer, die mit Werbematerialien und Broschüren zur kostenlosen Mitnahme bestückt werden können.

Chemnitz, Halle, Hoyerswerda: Wir beraten vor Ort!

Ihre erste Fahrt mit dem Infomobil im neuen Outfit ging Anfang April nach Chemnitz. Da Jana Lorenz privat schon mit eigenem Wohnmobil unterwegs war, ging sie das Fahren ganz entspannt an. Einige Wochen später machte sie in Magdeburg halt, wo sie an einer Hilfsmittelausstellung des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Sachsen-Anhalt teilnahm. Weitere Termine sind geplant, im Juni beispielsweise zur Kreisorganisation Hoyerswerda und zum Tag der offenen Tür ins Landesbildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte in Halle. So berät Jana Lorenz an verschiedenen Orten Interessenten zum vielfältigen dzb lesen-Angebot, von der Ausleihe über das Zeitschriftenabonnement bis hin zur technischen Anwendung von Apps und Geräten. „Menschen, die immer schlechter sehen, sollen auch weiterhin lesen können. Da es ihnen nicht immer möglich ist, ins dzb lesen zu kommen, fahren wir zu unseren Nutzerinnen und Nutzern“, freut sich die 40-jährige Frau, die seit Oktober 2021 im dzb lesen arbeitet und davor im zentralen Veranstaltungsmanagement des Universitätsklinikums Leipzig tätig war. „Wir erreichen so Menschen, die den Weg zu uns sonst nicht gefunden hätten.“

Persönliche Gespräche und unkomplizierte Hilfe

Der Dialog und Austausch mit blinden, seh- und lesebehinderten Menschen liegt Jana Lorenz am Herzen. Sie möchte einerseits das dzb lesen vorstellen und Menschen, die das Haus noch nicht kennen, über dessen vielfältigen Service informieren. Andererseits soll das Infomobil Anlaufstelle sein für Nutzerinnen und Nutzer, die sich gern persönlich mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des dzb lesen austauschen, Anregungen und Wünsche weitergeben möchten. Wer im dzb lesen Bücher in Brailleschrift, im Hörformat oder Großdruck (ab Juni möglich) ausleihen möchte, den können Jana Lorenz und ihre Kolleginnen und Kollegen sofort vor Ort anmelden. Sie zeigen allen Interessierten, wie die verschiedenen Medien über die Online-Kataloge auf der Internetseite bestellt und ausgeliehen werden können.
Das Team stellt die dzb lesen-App vor und demonstriert auf dem Tablet, wie Hörbücher heruntergeladen werden. Auch stehen die praktische Anwendung des sprachgesteuerten Alexa Skill und die Nutzung eines DAISY-Players auf dem Programm. „Mit einer Anmeldung vor Ort ist die erste Hürde ohne großartigen Papierkram gemeistert und der sofortige Zugang zu den Medien-Angeboten des dzb lesen geschaffen. Ich kann dann zum Beispiel zeigen, wie die dzb lesen-App von der Recherche bis zur Ausleihe genutzt werden kann“, erklärt Jana Lorenz. „So helfe ich den Menschen ganz unkompliziert. Das ist mir besonders wichtig.“

Das dzb lesen fühlen und erfahren

Wichtig ist ihr auch, die verschiedenen Medien „maßgeschneidert“ in die Hand zu geben: ein Großdruck-Buch, CDs mit Hörproben der Zeitschriften, taktile Kinderbücher, Kalender usw. “Bin ich zu einer Schule oder einem Eltern-Kind-Wochenende unterwegs, dann sind es mehr taktile Kinderbücher, die ich einpacke. Besuche ich eine Kreisorganisation oder ein Verbandssommerfest, dann stecke ich mehr Kalender in Brailleschrift und Großdruck und eine größere Anzahl an Hörproben ein“, meint die 40-Jährige. „Man kann die Produkte anfassen und ertasten, einen Taschenkalender tatsächlich in die Handtasche packen oder in den Tischkalender etwas hineinschreiben. Wenn jemand an einer Zeitschrift interessiert ist, dann sage ich: ‚Nehmen Sie sich doch eine Hörprobe mit, hören sie mal rein!‘ Ich möchte, dass man das dzb lesen fühlen und erfahren kann.“ Jana Lorenz selbst liest sehr gern, vor allem Fantasy-Romane. Sie steht aber auch zu dem einen oder anderen Herz-Schmerz-Liebesroman.

Beratung zusammen mit Blickpunkt Auge

In die geräumigen Schubladen des Infomobils passt ganz schön viel rein. Auch Broschüren und Flyer von Blickpunkt Auge in Sachsen sind dabei. Einmal im Monat wird die Zusammenarbeit mit dem mobilen Beratungsangebot koordiniert und es werden anstehende Termine abgestimmt. So können sich die Partner, zu denen auch das Landeshilfsmittelzentrum in Dresden gehört, gegenseitig vertreten, wenn einer nicht anwesend ist. Dass das Infomobil wieder unterwegs ist, muss sich natürlich erst einmal herumsprechen.
Als Jana Lorenz ihr mobiles Infobüro auf dem Hof des dzb lesen schließt und die Markise einrollt, ist auch der Rasenmäher verstummt. Sie ist zufrieden. Ganz locker und gegenständlich hat sie ihren Kolleginnen und Kollegen von ihrer Arbeit erzählt – und auch das eine oder andere persönliche Gespräch mit ihnen geführt. Morgen ist sie mit dem Infomobil wieder unterwegs.

Die Termine unter www.dzblesen.de (Über uns/Fachthemen/Infomobil) werden ständig aktualisiert. Möchten Sie einen Termin anfragen, dann schreiben Sie eine Mail an infomobil@dzblesen.de.

Nahaufnahme

Leben in zwei Kulturen: Eskandar Abadi – Autor, Übersetzer und Musiker

Am 19. März 2022 stellte Eskandar Abadi gemeinsam mit Sebastian Wolter vom Katapult Verlag seinen ersten Roman „Aus dem Leben eines Blindgängers“ im dzb lesen vor. Der Autor hatte auch seine Geige dabei und spielte ein traditionelles persisches Musikstück. Der Bogen tanzte auf der Geige. Dann begann Eskandar Abadi ernst und feierlich mit dem Gesang und verzauberte auf Anhieb das Publikum. Gabi Schulze stellt Ihnen den Autor und sein Buch vor.

Musik ist seine Leidenschaft. Und so wie seine Geige – eigentlich kein traditionelles Musikinstrument im Iran – ihren Platz in der persischen Musik fand, hat auch Eskandar Abadi in Deutschland seine zweite Heimat gefunden.
Eskandar Abadi ist 1959 in Bandar Mahschahr, Iran, geboren. Er ist von Geburt an blind und kam 1980 über die Vermittlung der Christoffel Blindenmission nach Deutschland. In Marburg studierte er Germanistik und Politikwissenschaften. Heute ist er als Journalist, Musiker, Übersetzer und seit Kurzem auch als Autor unterwegs.

Sein Debütroman „Aus dem Leben eines Blindgängers“

In seinem Roman geht es um Nader Bandari, Abadis Alter Ego. Dessen Episoden erstrecken sich über die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts und erzählen von seiner Geburt, der Kindheit in Blindenheimen, seiner Liebe zur Musik, seinen politischen Aktivitäten als junger Mann bis hin zu seiner misslungenen Ausreise aus dem Iran nach Deutschland.
Mit fünf Jahren vom Vater in ein britisch-christliches Blindenheim gesteckt, wächst er dort mit seiner ebenfalls blinden Schwester unter physischer und psychischer Gewalt der Erzieherinnen und Erzieher auf und kann sich auch sexueller Übergriffe nicht erwehren. Er flüchtet in die Welt der Musik. Mit zwölf Jahren kauft er sich von seinem hart erarbeiteten Geld eine Geige und bringt sich das Geigenspiel eher selbst bei. Viereinhalb Jahre, bis zur Iranischen Revolution, spielt er im Radioorchester in Isfahan als Geiger.

Erwachsenwerden in Blindenheimen

Eskandar Abadi erzählt mit einem lachenden und einem weinenden Auge von den Kindheitserlebnissen des blinden Naders, von seiner liebevollen Mutter und seinem herzlosen Vater, vor dem er sein Geigenspiel verheimlichen muss. Er entwirft das Bild eines ehrlichen und sehr sensiblen Jungen, der von der Außenwelt abgeschirmt in Heimen erwachsen wird. Nicht selten fühlt er sich gedemütigt, versucht aber trotzdem, rebellisch den ihm auferlegten Zwängen zu entkommen. Als Teenager entdeckt er mit Hilfe des Radios die Welt außerhalb des Heims. Es spielt für ihn die Musik seiner Lieblingssängerinnen und -sänger und erzählt Geschichten. Einfühlsam und witzig schildert Eskandar Abadi auch Naders erste Liebe zu Schirin und seinen Versuch, mehr über Liebe und Sexualität zu erfahren. Im letzten Drittel des Romans thematisiert der Autor die Wirren der Iranischen Revolution, in denen Nader als Student beginnt, politisch aktiv zu werden.

Eine Aktentasche voller Tagebuchaufzeichnungen

Wer nun glaubt, es handele sich bei dem Roman um eine Autobiografie, der wird eines Besseren belehrt. Abadi lässt von Anfang an Musa, einen Bekannten Naders, immer wieder zu Wort kommen. Nader und Musa, die beide doch sehr verschieden sind, wachsen gemeinsam in Blindenheimen auf. Sie planen 1980 als junge Männer das Land über die iranisch-türkische Grenze zu verlassen. Doch nur Musa schafft es ins Ausland – mit einer Aktentasche voller Tagebuchnotizen, die Nader seinem Freund noch an der Grenze in die Hände drückt. Anhand dieser Tagebuchaufzeichnungen schreibt Musa ein Buch über Nader Bandari. Naders episodenhafte Erinnerungen werden von einer nun in Deutschland lebenden Person erzählt, die sein Leben aus einer ganz anderen Perspektive und mit einem gewissen zeitlichen Abstand betrachtet. Musa hat „diesem iranischen Leben einen deutschen Ausdruck verliehen“ und „Nader selbst nach Deutschland gebracht“. Musa und Nader scheinen zu einer Person zu verschmelzen, die des Autors Eskandar Abadi.

Der Autor hat mit Nader einen sympathischen Protagonisten geschaffen, dessen Geschichte vom Erwachsenwerden Tragik und Komik vereint, die enge und beschränkte Welt seiner Kindheit beschreibt und die Sehnsucht offenbart, dieser zu entfliehen.
„Aus dem Leben eines Blindgängers“ gehört zu den Büchern, aus denen ein Autor spricht, der das Leben liebt und auch dessen schwierige Seiten mit Humor betrachtet. Es vermittelt Einblicke in die gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Lebensrealitäten im Iran der 70er Jahre und legt dar, was es bedeutet, in diesem Land blind zu sein.
Ein Buch mit leisen und intensiven Tönen, heiter-ironischem Charakter und einer gefühlvollen Klangfarbe!

Der Roman wird zurzeit im dzb lesen in Brailleschrift produziert.

Über die Iranische Revolution, persische Musik und Traditionen

Nader und Musa wachsen als Jugendliche in der Zeit vor der Iranischen Revolution auf. Nader wird in dieser Zeit auch politisch aktiv. Wie haben Sie die politischen Ereignisse im Iran als Kind und vor allem als Jugendlicher erlebt?

Viele Erlebnisse und Erfahrungen in Naders Leben decken sich im Grunde mit meiner Biografie. Auch ich hatte als Kind keine Vorstellung von Politik, war lediglich ein neugieriges und rebellisches Kind. Ich ging gern in die Kirche, übte aber, wo ich konnte, Widerstand gegen unsere Heimleitung, die uns dazu drängte, täglich an Andachten und Predigten teilzunehmen. Dieses rebellische Element zeigte sich später, als ich erwachsener war, als Widerstand gegen die autoritäre Gesellschaft, die zum Beispiel Bücher verbot. Solche Bücher musste ich unbedingt finden und lesen oder mir vorlesen lassen.

Als Jugendlicher spürte ich die autoritäre Gesellschaft unter einem monarchistischen, westlich orientierten Regime und hatte eine Abneigung gegen den städtischen Mainstream. Zu diesem wollte ich nicht gehören. Ich schrieb sozialkritische Gedichte und fühlte mich zu dem Vordenker Ali Shariati, der einen politischen Islam propagierte, zunächst hingezogen, bis ich mit 16-17 Jahren den Marxismus entdeckte und mich fortan, nicht anders als der Protagonist Nader, als Linker bezeichnete.
Mit dem Ausbruch der islamischen Revolution beteiligte ich mich aktiv an Demos und verbreitete Bücher und Flugblätter der linken Organisation Volks-Fedayin. Ich unterschätzte die Durchsetzungskraft der Mullahs. Ich bildete mir ein, dass die linken Sozialisten die Islamisten aus der Macht und der Politik jagen würden und war deshalb optimistisch gestimmt. Zugleich zeigte ich kein Interesse, mich organisatorisch oder als ein Mitglied in einer Partei zu betätigen, da ich die kriegerischen Allüren der Linken nach der Revolution nicht billigen konnte.

Als der letzte Premierminister des Ex-Regimes, Hoveyda, hingerichtet wurde, war ich sehr schockiert und sprachlos, weil meine Genossinnen und Genossen dies für richtig hielten. Ich verlegte mich also darauf, das neue Regime mit kleinen satirischen Schriften und Witzen zu entsakralisieren, bis ich mit 20 Jahren den Iran verließ.

Die Musik spielt sowohl in Naders als auch in ihrem Leben eine ganz besondere Rolle. Wie stark sind Sie auch in Deutschland noch mit der iranischen bzw. persischen Musik und Kultur verbunden?

Die iranische Musik hat mich in meinem zweiten Leben in Deutschland immer begleitet. Und obwohl ich Geige spiele, ein in die iranische Musik integriertes Instrument, habe ich selten klassische europäische Musik gespielt. Ich habe in zahlreichen iranischen und internationalen Ensembles gespielt und etliche iranische Sängerinnen und Sänger auf Geige und Trommel begleitet. Auch die Musik-Alben, die ich herausgegeben habe, sind alle iranischen Inhalts.
Mit dem Deutsche-Welle-Chor spielte ich zwar auch sehr gerne Musik aus anderen Ländern, doch auf unserer CD ist ein Lied mit meinem Gesang und meiner Geige wiederum auf Persisch.

Wenn Sie in den Iran reisen könnten, wohin würden Sie zuerst reisen? Und warum?

Ich würde nach Isfahan reisen und mich nach alten Gerüchen und Geräuschen der Stadt sehnen, denn ich weiß ja, dass die Stadt nicht die gleiche geblieben ist. Ich würde mich an den Änderungen und Entwicklungen der Stadt erfreuen, soweit sie naturverbunden gestaltet sind, und würde mich sehr über Wolkenkratzer und lärmenden Verkehr ärgern. Beide bestimmen in der Zwischenzeit sicher das Stadtbild.

Was war in ihrer Kindheit ihr Lieblingsbuch? Und worum ging es in dem Buch?

Ich habe erst mit zehn mein erstes Buch, das kein Schulbuch war, in die Hand bekommen und hatte in den folgenden Jahren mehrere Lieblingsbücher. So weiß ich zum Beispiel noch, dass ich mit 13 die Gedichte von Hafez (oder Hafiz, wie er in orientalistischen Büchern auch geschrieben wird) solange bei mir behielt, bis mir unser Heimbibliothekar drohte, kein Buch mehr auszuleihen, wenn ich die Gedichte nicht sofort zurückbrächte. Diese lyrischen Gedichte fand ich sehr musikalisch, obwohl ich sie kaum verstand. Ich lernte sie auswendig und schrieb einige Verse mit der Handtafel in Blindenschrift und stellte immer wieder fest, dass ich sie auswendig kann. "Wer nicht liebt, der lebt nicht", hieß es darin.

Unter ihren biografischen Angaben auf Ihrer Internetseite steht bei „Weltanschauung“: sehender Blinder. Warum haben Sie diese gegensätzlich erscheinende Metapher verwendet?

Sehen ist eine Wahrnehmung, die nicht nur vererbt werden kann, sondern teils erlernbar ist; auch für einen Blinden. Wenn man beispielsweise einem Blinden verständlich erklären kann, wie man in der optischen Welt ein Bild in zwei Dimensionen auf Papier malt, so dass alle die dritte Dimension dazu denken können, hat man diesem Blinden ein Stück Sehen beigebracht.
Der Gegensatz lädt zudem dazu ein, einen blinden Menschen nicht auf diese Eigenschaft zu reduzieren. Ich bin kein blinder Redakteur, Autor und Musiker, sondern ein Redakteur, Autor und Musiker, der leider Gottes zufällig auch blind ist.

Sie bezeichnen sich heute als Mensch mit deutschen Stärken und iranischen Schwächen. Bitte erläutern Sie uns das näher?

Wenn ich von Stärken rede, dann meine ich die reiche Erfahrung, die ich hier in Deutschland im Bereich Sprache, Literatur, Kultur und Wissenschaft sowie Lebensweise sammeln durfte. Die Schwächen aber sind Schwächen, die man zum Beispiel im Angesicht einer Tafel Schokolade hat. Ich kann nie die iranische Musik, Dichtung, Traditionen im Umgang mit Menschen und gar das iranische Taarof vergessen. Taarof heißt, einen Gast mit offenen Armen zu empfangen, auch wenn man dafür keine Zeit hat. Im Grunde ist diese Formulierung ein Spiel, um zu betonen, dass ich in beiden Kulturen zuhause bin, egal ob man mich empfängt oder nicht.

Vielen Dank, Herr Abadi, für das interessante Gespräch!

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„Dear Oxbridge“ von Nele Pollatschek – empfohlen von Anja Lehmann (Übertragerin/Korrekturleserin)

„Dear Oxbridge“ ist Nele Pollatscheks Liebeserklärung an die englischen Elite-Unis in Oxford und Cambridge, zusammen Oxbridge genannt. Sie nimmt uns mit in die Colleges und erzählt von persönlicher Betreuung in kleinen Lerngruppen und durchwachten Nächten in der Bibliothek, in denen Essays gerade noch rechtzeitig zum Abgabetermin fertig werden.
Es geht aber auch um den Alltag in England. Nele Pollatschek erörtert, warum die Briten große Missstände (z.B. in Verkehr und Infrastruktur) hinnehmen, ohne zu murren. Sie erklärt, wie die unterschiedliche Finanzierung des Gesundheitssystems zu anderen Behandlungsmethoden führen kann und überlegt, warum so viele für den Brexit stimmten.
Am Interessantesten fand ich das Kapitel über das Gendern. Während wir im Deutschen weibliche Formen verwenden (Bundeskanzlerin), kann das englische Prime Minister für beide Geschlechter stehen. Einiges aus Nele Pollatscheks Buch habe ich bei meinen gelegentlichen Besuchen in Großbritannien genauso erlebt, manches sehe ich anders, und vieles will ich unbedingt mit meinen britischen Freunden diskutieren, am liebsten im Pub! Mich beeindruckt, welch große Unterschiede es zwischen den beiden Kulturen gibt, die sich auf den ersten Blick doch so ähnlich scheinen.

2 Bände, Kurzschrift, Ausleihe 19851, Verkauf 10919, 30,50 EURO (netto)

Gesund Hundert werden – mindestens!

„Klartext Ernährung: die Antworten auf alle wichtigen Fragen – wie Lebensmittel vorbeugen und heilen“ von Petra Bracht und Claus Leitzmann – empfohlen von Liane Völlger (Bibliothekarin)

Frau Bracht beschreibt in Ihrem über 600 Seiten starken Werk, wie wir zu einer optimalen Ernährung in der heutigen Zeit finden. Dazu beleuchtet sie, welche Krankheiten unsere Zivilisation plagen, was andere Völker beim Essen richtig machen und was die Geheimnisse eines langen und vor allem gesunden Lebens sind. Sie bündelt alle unterschiedlichen Ernährungsformen, geht auf deren Vor- und Nachteile ein und trägt wertvolles Grundlagenwissen zum Thema Ernährung zusammen. Sie erläutert aber auch, wie Nahrung durch unseren Körper verwertet wird. Das Buch geht der Frage nach der gesündesten Ernährung auf den Grund. Und wer hätte es gedacht? Spoileralarm! Die gesündeste Ernährung ist pflanzenbasiert!

Ich bin auf Frau Bracht über YouTube aufmerksam geworden. Sie erklärt in ihrem Kanal einfach und leicht verständlich das Zusammenspiel von Ernährung und Gesundheit. Nun liegt ihr geballtes Wissen auch in gedruckter Form vor. Ein richtiges Nachschlagewerk für Gesundheitsorientierte! Wohl bekomm‘s!

1 CD DAISY (18 Stunden, 5 Minuten), Ausleihe 51554

Technik getestet

Hable One - Das kleine Kraftpaket für Smartphones

Ein Beitrag von Katja Löffler (Stiftung Centralbibliothek für Blinde, Hamburg)

Dank eingebauter Screenreader lassen sich Smartphones mit Touchscreen auch von blinden Menschen bedienen, doch kann es durchaus komfortabel sein, zwischendurch echte Tasten unter den Fingern zu haben. Bluetooth-Tastaturen, die sich drahtlos mit dem Smartphone verbinden, schaffen hier Abhilfe. Die Firma Hable aus den Niederlanden hat mir freundlicherweise ein Testexemplar der Hable One Brailletastatur, zum Test zur Verfügung gestellt.

Anbindung und Eingabemethoden

Mobile Braillezeilen mit und ohne Tastaturen werden üblicherweise über die Screenreader Software angesteuert, die die Eingaben erkennt und verarbeitet. Reine Brailletastaturen, wie die Hable One, arbeiten als herkömmliches Bluetooth-Eingabegerät und funktionieren auch ohne Screenreader. Somit können sie auch zur Bedienung von PC-Systemen oder smarten Fernsehern verwendet werden. Hier hängt der Funktionsumfang nicht vom Screenreader, sondern von den Fähigkeiten der in die Tastatur eingebauten Software ab.

Erster Eindruck

In einem stabilen, aufgeräumten Karton befinden sich neben der Tastatur noch ein mit Stoff ummanteltes USB-Kabel, sowie eine Anleitung auf Papier. Eine digitale Anleitung kann von der Hable Homepage heruntergeladen werden. Die Tastatur aus stabilem Kunststoff fühlt sich ebenso wertig an, nichts knarzt oder wackelt. Sie ist rechteckig und etwas kleiner als beispielsweise das iPhone SE 2020, das ich selbst nutze, und passt genau auf den Bildschirm, auf dem sie theoretisch mit ihren vier Gummifüßchen sicher und kratzfrei zum Tippen abgestellt werden kann. Die eigentliche Schreibhaltung ist aber in den Händen liegend. Grundsätzlich lässt sich aber die Einstellung der Punkteanordnung im Hable One Menü umdrehen.

Aufbau und Haltung

Die Ergonomie ist zunächst etwas gewöhnungsbedürftig. Aber nach dem Studium der Anleitung kommt man hinter das Geheimnis. Hier sind die Tasten nämlich nicht quer, wie bei Braillezeilen mit Punktschrifteingabe oder wie bei Punktschriftmaschinen gesetzt, sondern quasi senkrecht. Was aber, hält man die Tastatur beim Schreiben in den Händen, sehr viel Sinn ergibt.
Das Hable One kommt mit nur 8 Tasten aus, Punkte 1 bis 6 zur Eingabe von Buchstaben, sowie zwei weitere, etwas größere Tasten, Punkte 7 und 8. Bei der Texteingabe sind sie Rück- und Leertaste, in Kombination mit anderen Tasten gedrückt, lösen sie weitere Befehle aus. Lang gedrückte Buchstaben dienen der weiteren Navigation.
Beim Schreiben liegt die Tastatur auf den Daumen, während die restlichen Finger auf den Tasten liegen, die von einem wegzeigen. Der Tastenanschlag gibt eine angenehme Rückmeldung und ist aber auch nicht zu leichtgängig, so dass man ständig ausversehen irgendwelche, nicht gewollten Zeichen oder Aktionen ausführen könnte. Ein leichtes Klappergeräusch ist beim Tippen durchaus zu hören, aber ich habe schon auf lauteren Tastaturen getippt. Feedback erhält man bei bestimmten Aktionen auch durch gut spürbare Vibrationen der Tastatur.
An der Oberseite befindet sich der Ein-und-Aus-Schiebeschalter, an der Unterseite eine USB-C-Ladebuchse, über die man auch Software-Updates einspielt.
Generell muss man sich für eine effektive Nutzung schon einige Tastenkombinationen merken, aber viele davon sind auch sehr intuitiv und mit etwas Übung hat man die schnell drauf.

Fazit

Leider fehlt mir bisher noch der Vergleich zu anderen Smartphone Brailletastaturen, aber das Hable One kann ich uneingeschränkt empfehlen.

  • Mit 269 € Verkaufspreis ist sie durchaus teurer als andere Tastaturen auf dem Markt, aber die gute Qualität und die vielen Funktionen sprechen hier eindeutig für sich.
  • Die Tastatur ist leicht und, kleiner als ein Smartphone, sehr handlich. Die wenigen Tasten sind ergonomisch und übersichtlich angeordnet und selbst die vielfältigen Tastenkombinationen zur Bedienung und Navigation wird man sich mit ein wenig Einarbeitung und Übung leicht merken können.
  • In Verbindung mit einem Kopfhörer kann das Smartphone komplett in der Tasche verbleiben, es lässt sich mit der Tastatur rundum bedienen.
  • Durch Software-Updates werden die Funktionen stetig erweitert. Möglicherweise wird auch irgendwann eine Kurzschrift-Rückübersetzung implementiert, bisher lässt sich nur in Vollschrift schreiben. Lediglich einige Kürzungen, wie IE, EI, ST, AU und mit Punkt 4 eingeleitete Sonderzeichen, Zahlenzeichen für die Zifferneingabe und Punkte 4 und 6 bzw. 4 und 5 für die Großschreibung, lassen sich nutzen. Doch wahrscheinlich wäre bei der Komplexibilität der Blindenkurzschrift, die von blinden Kindern kaum noch gelernt wird, die Möglichkeit für Computerbraille noch sinnvoller, da man diese von Braillezeilen gewöhnt ist.
  • Mobile Brailletastaturen sind also nicht nur extrem handlich und kompakt, sie unterstreichen zudem die enorme Bedeutung und Sinnhaftigkeit der Blindenschrift für blinde Menschen in unserer Gesellschaft.

Die Homepage des Herstellers erreicht man unter folgendem Link, dort finden sich alle wichtigen Informationen und Gebrauchsanleitungen zur Hable One: https://www.iamhable.com/de-DE

Fragebogen

Sechs Fragen – sechs Antworten

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter antworten auf unsere Fragen. Diesmal: Maria Lippold (Übertragerin)

Was ist Ihre Aufgabe im dzb lesen?

In erster Linie übertrage ich Bücher, Zeitschriften, Aufträge usw. in Blindenschrift. Ich organisiere aber u.a. auch den Eingang der Verlagsdaten. Das heißt ich schaue, ob alles vorhanden ist, ob sich alle Dateien öffnen lassen und lege sie in die entsprechenden Verzeichnisse ab. Hin und wieder unterstütze ich bei der Anpassung und Verbesserung der Werkzeuge für den Übertragungsprozess.

Welche Arbeit haben Sie gerade auf dem Tisch?

Die Blindenschriftübertragung des Buches „Monsieur Vénus“ von Rachilde. Auch die Übertragung der „Deutschlandrevue“ steht jetzt an.

In meiner Freizeit beschäftige ich mich am liebsten mit …

… Geräteturnen. Bei den Frauen umfasst das vier Geräte: Sprung, Stufenbarren, Balken und Boden. Nach langer aktiver Zeit bin ich heute eher als Trainerin und Kampfrichterin in der Turnhalle tätig.

Welche drei Dinge würden Sie auf eine Insel mitnehmen?

Mein Strickzeug, ein gutes Buch, eine Werkzeugkiste.

Haben Sie ein Buch, das Sie empfehlen können?

Mariana Leky: „Was man von hier aus sehen kann“

Ihr Lebensmotto?

Mit einem Lächeln geht alles besser, denn es sind die kleinen unscheinbaren Dinge, die das Leben lebenswert machen.

Rätsel

Machen Sie mit und gewinnen Sie!

Wir wollen wissen: Wann ist in diesem Jahr der Tag der offenen Tür im dzb lesen?

Schicken Sie Ihre Antwort bis zum 16. August 2022 per E-Mail presse@dzblesen.de oder per Post an: dzb lesen, Kennwort: Rätsel „in puncto dzb lesen“, Gustav-Adolf-Straße 7, 04105 Leipzig.

Das können Sie gewinnen: einen Reliefwandkalender 2023 „Exotische Blüten“

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des dzb lesen können nicht teilnehmen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Auflösung aus 1/2022

Die richtige Antwort lautet: Annette, ein Heldinnenepos

Der glückliche Gewinner heißt: Bodo Rinas

Impressum

Herausgeber, Herstellung, Vertrieb

Deutsches Zentrum für barrierefreies Lesen (dzb lesen)

Gustav-Adolf-Straße 7, 04105 Leipzig

Telefon: 0341 7113-0, Fax: 0341 7113-125

info@dzblesen.de, www.dzblesen.de

Redaktion

Gabi Schulze

Telefon: 0341 7113-148

g.schulze@dzblesen.de

Abonnements, Anzeigen

Telefon: 0341 7113-120

abo@dzblesen.de

„in puncto dzb lesen“ wird im Format HTML per E-Mail viermal im Jahr kostenfrei versandt und online unter www.dzblesen.de veröffentlicht. Kostenpflichtig erscheint die Zeitschrift wahlweise im Format DAISY als CD oder zum Download (dzb lesen-App und -Katalog) sowie in Braille-Kurzschrift zu einem Jahresbezugspreis von 9 €. Das kostenpflichtige Abonnement gilt jeweils für ein Jahr ab Bezugsbeginn und verlängert sich automatisch um ein weiteres Jahr, wenn es nicht spätestens mit einer Frist von drei Monaten vor Ablauf des Bezugszeitraums gekündigt wird. Es gelten die AGB des dzb lesen, die vollständig unter www.dzblesen.de/agb einsehbar sind. Auf Wunsch senden wir die AGB gern zu.

dzb lesen 2022

Danke Freunde!

dzb lesen wird unterstützt vom Förderverein „Freunde des barrierefreien Lesens e.V.“

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