in puncto DZB - 01 / 2019
Ausgabe 01 / 2019
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
die DZB wird in diesem Jahr 125 Jahre alt. Aus diesem Anlass wagen wir in den nächsten Ausgaben einen Blick in die Geschichte der DZB und berichten in diesem Heft über deren schwierige Gründerjahre als Verein im Kaiserreich. Auf Vergangenes schaut auch Prof. Dr. Thomas Kahlisch, Direktor der DZB, im Interview zurück, wenn er an die technischen Entwicklungen und gesellschaftlichen Veränderungen denkt, die die DZB in seiner 20-jährigen Amtszeit beeinflussten.
Seit ihrer Gründung überträgt die DZB Bücher in Brailleschrift, damit diese verliehen werden können. Das ist heute nicht anders als damals. Nur werden die Bücher heute viel schneller und effizienter mithilfe moderner Produktionsverfahren übertragen. Wie diese Arbeit konkret aussieht, erfahren Sie gleich am Anfang dieser Ausgabe.
Außerdem porträtieren wir einen leidenschaftlichen Audiodeskriptionssprecher, der für blinde und sehbehinderte Sportfans live beschreibt, was auf dem Spielfeld los ist, und zudem auch noch als Hörbuchsprecher in der DZB arbeitet.
Wir hoffen, Ihr Interesse für diese Ausgabe geweckt zu haben, wünschen Ihnen eine unterhaltsame Lektüre und freuen uns auf Ihr Feedback!
Herzliche Grüße und angenehme Frühlingstage!
Ihre Redaktion
Im Fokus
Von Kochbüchern und wie sie in Brailleschrift übertragen werden
Arite Stosch-Ball kennt es noch – dieses laute hämmernde Geräusch, das die elektrische Handpunziermaschine bei jedem Anschlag der sechs Tasten erzeugte. Als sie 1996 ihre Tätigkeit als Übertragerin begann, bohrte sich das schnelle Rattern auch in ihre Ohren. Sie selbst schrieb an der Handpunziermaschine ihr erstes Buch in Brailleschrift. Es hieß „Sagen des klassischen Altertums“ von Gustav Schwab. „Der Text wurde auf eine Zinkblechplatte eingegeben. Das war schwere Arbeit, die viel Kraft abverlangte“, erzählt Arite Stosch-Ball. „Auch durfte man keine Fehler machen. Diese mussten dann wieder aus der Platte herausgeklopft werden.“
Heute ist die Handpunziermaschine verstummt – für immer. Arite Stosch-Ball sitzt an ihrem Computer und überträgt mit Hilfe der Software HBS (Hagener Braille-Software-System) Bücher in Brailleschrift. Die Arbeit geht jetzt viel leichter von der Hand. In ihre Textdatei gibt die Übertragerin Steuerbefehle ein, die das Layout des Buches festlegen, beispielsweise, wo es Einrückungen im Text oder freie Zeilen geben soll, wie die Überschriften aussehen sollen. Die Software wandelt den Text in Brailleschrift um. Danach erfolgt die Seiten- und Bandeinteilung. Dieser digitale Text kann direkt auf Papier ausgedruckt werden oder wird auf eine Zinkblechplatte punziert. Die Prägung der Brailleschrift auf die Platte übernimmt eine Maschine.
Dicke Bücher mit viel Struktur
Die gelernte Wirtschaftskauffrau hat die Brailleschrift an der Pichtmaschine gelernt. „Ich habe immer eine Seite geschrieben und diese dann korrigieren lassen“, sagt Arite Stosch-Ball. „So hat die Übertragung eines Buches anfangs recht lange gedauert. Heute ist mir das Brailleschriftschreiben in Fleisch und Blut übergegangen. Ich kann sogar Schwarzdrucktexte mit sechs Fingern schneller schreiben als mit zehn Fingern.“
Am liebsten überträgt sie dicke Bücher mit viel Struktur, also meist Sachbücher, wie beispielsweise Kochbücher. „Da habe ich richtig viel zu tun. Im Gegensatz zu Romanen, wo es eine einfache Struktur und viel Fließtext gibt, beinhalten Sachbücher viele Kapitel und Abschnitte, aber auch Tabellen, die man auflösen muss. Da kann ich mich so richtig reinknien“, erklärt die Übertragerin. So ein Sachbuch überträgt sie gerade. „Amerikanisch Kochen“ von Lisa Shoemaker heißt es und beinhaltet viele Rezepte. Ein ähnliches Buch wartet schon auf die Übertragung: „Das Harry Potter-Kochbuch“. In den sieben Harry Potter-Bänden wurde viel gekocht und gebacken, wie beispielsweise Zimtbrötchen und Marmeladentörtchen. Aber auch das Jugendbuch „Last Exit. Das Spiel fängt gerade erst an“ von Mirjam Mous und das Kinderbuch „Wunder - Julian, Christopher und Charlotte erzählen“ von Raquel J. Palacio liegen auf ihrem Bücherstapel.
Makros erleichtern die Arbeit
Normalerweise arbeitet Arite Stosch-Ball durchgängig an einem Buch. Doch muss sie auch Aufträge und Zeitschriften einschieben, weil diese feste Termine haben. Vor kurzem hat sie die kompletten Bücher für die Zeitschrift „Literaturtreff 2019“ in Brailleschrift übertragen. Daraus sind 52 Hefte entstanden, die Woche für Woche an literaturinteressierte Abonnenten verschickt werden.
Kleine Computerprogramme, auch Makros genannt, erleichtern das Übertragen in Brailleschrift. Das Makro „Wieviel?“ zum Beispiel gibt automatisch die Gesamtseitenanzahl eines Buches aus, so dass der Text in Bände eingeteilt werden kann. Oder ein Korrekturmakro zeigt englische Wörter, wie zum Beispiel high oder light, vor dem Umwandeln an, bei denen die Silbe „ig“ nicht gekürzt wird und die deshalb mit einem Kürzungsverbot versehen werden. Apropos Korrektur: Die häufigsten Übertragungsfehler, weiß Arite Stosch-Ball zu berichten, sind falsche Kürzungen, Trenn- und Scannfehler. „Es kommt auch vor, dass die Übertragerin die Struktur einer Tabelle noch einmal anders auflösen muss, damit sie den Lesern verständlich erscheint“, meint Arite Stosch-Ball.
Hin und wieder gefällt ihr ein Buch, das sie überträgt, so gut, dass sie ein Exemplar in der Buchhandlung kauft. Allen Leser*innen von „in puncto DZB“ empfiehlt Arite Stosch-Ball – wie kann es anders sein – ein Kochbuch: „Meine Lieblingsrezepte“ von Cornelia Poletto. Wenn sie keine Bücher in Brailleschrift überträgt, probiert sie auch gern einmal ein Rezept aus diesem Buch aus. Na dann, gutes Gelingen – sowohl beim Kochen als auch beim Übertragen!
125 Jahre DZB
Die DZB im Kaiserreich – ungeklärte Finanzen und eine straffe Hand
Die Gründung der DZB erfolgte am 12.11.1894 als „Verein zur Beschaffung von Hochdruckschriften und Arbeitsgelegenheit für Blinde“. Zu Beginn des darauffolgenden Jahres wurde die Bibliothek angegliedert. Ziel war es, Blinde mit Literatur zu versorgen. Dies konnte nur gelingen, wenn die Bücher in Brailleschrift selbst produziert sowie verliehen und verkauft wurden, da es kaum Verlage für Brailleschrift gab. Der Verein zerfiel in zwei Abteilungen: zum einen in die Abteilung für die Produktion und den Verleih der Brailleschriftbücher, der seit 1900 Marie Lomnitz-Klamroth unterstand; zum anderen die Abteilung, die Blinden zu Arbeit und damit größerer wirtschaftlicher Selbstständigkeit verhelfen wollte. Hier war Isabella Keilberg zuständig. Obwohl beide tragende Rollen in der Anfangszeit Frauen einnahmen, hatten im Blindenwesen etablierte Männer den Anstoß zur Gründung gegeben: August Büttner, Leiter der Blindenanstalt in Dresden, hatte in einem Vortrag dazu animiert, durch Herstellung von Büchern zur Blindenbildung beizutragen. Unterstützung bekam er von Georg Buchwald, einem Pastor und Gründer des Leipziger Blindenvereins, der vor allem finanzielle Förderer gewinnen konnte.
Selbstständig und ohne Almosen
Die Entwicklungen im Blindenwesen gegen Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts waren Voraussetzung für die Entstehung des Vereins: Ohne die Anerkennung der Brailleschrift und die Erkenntnis der Bildungsfähigkeit blinder Menschen wäre eine solche Gründung unmöglich gewesen. So konnten blinde Menschen, die nicht in spezifischen Anstalten untergebracht waren, bis zur Jahrhundertwende keine Bildung erhalten und ihren Lebensunterhalt nicht selbst verdienen. Aber auch die Bibliotheken in diesen Anstalten beschränkten sich häufig auf religiöse Werke und konnten nur von dort lebenden Blinden genutzt werden. Am Ende des Jahrhunderts organisierte sich schließlich die Blindenselbsthilfe durch Gründung einiger Vereine. Das Bild von blinden Menschen verschob sich langsam aber stetig – man organisierte sich selbst, statt ausschließlich von der Fürsorge abhängig zu sein, die immer mit der Gefügigkeit als Almosenempfänger einherging.
Wendepunkt: Gründung des „Vereins zur Förderung der DZB“
Trotzdem musste der Verein hauptsächlich von Spenden und ehrenamtlich geleisteter Arbeit leben, auch wenn es von Beginn an eine marginale Unterstützung vom Rat der Stadt Leipzig gab. Später konnten auch weitere staatliche Organe gewonnen werden, kleine Beiträge zu leisten. Der Verein wurde nichtsdestotrotz lange Zeit durch Spenden finanziert. 1915 und 1916, mitten im Ersten Weltkrieg und konfrontiert mit zahlreichen Krisen (wie Problemen bei der Beschaffung von Materialien und der Versorgung zahlreicher kriegsblinder Menschen), kam es zu einem Umschwung: Der Rat der Stadt Leipzig erhöhte seine Beiträge um ein Vielfaches und machte den Verein damit unabhängiger von den im Weltkrieg sowieso spärlich eingehenden Spenden. Daraufhin entschied sich Lomnitz-Klamroth zu einer Loslösung vom bisherigen Verein und gründete den „Verein zur Förderung der Deutschen Zentralbücherei für Blinde“, womit sie auch ihr ambitioniertes Ziel für die Zukunft der DZB verkündete. Dies war ein Wendepunkt: Nun war es möglich, die DZB vom vorherrschenden Gedanken der Fürsorge abzukoppeln und sich als kulturelles Zentrum für die Bildung blinder Menschen zu positionieren.
Umzug in das Buchhändlerhaus
Die spendenbasierten Anfänge des Vereins waren äußerst bescheiden: Weder für die Bibliothek noch für die ehrenamtlich tätigen Übertrager gab es einen festen Arbeitsplatz, die meisten von ihnen arbeiteten in privaten Wohnungen. Um die Jahrhundertwende benutzten die Übertragerinnen Griffel und Tafel, später dann Pichtmaschinen, mit denen sich die Übertragungsgeschwindigkeit erheblich steigerte. So gab es 1910 ca. 150 Übertrager, 1916 schon 300. Hauptamtlich beschäftigten sich drei Mitarbeiter mit dem Druck und Punzieren verschiedener Werke, ab 1918 mit einer eigenen Erfindung: dem plattenlosen Druck. Trotz gesteigerter Professionalität und hohem qualitativem Anspruch an die Übertragungen gab es bis 1916 keine eigenen Räumlichkeiten. Die Abteilungen der DZB, also ein Magazin, eine Druckerei, ein Lager sowie der Versand und die Verwaltung, waren alle in unterschiedlichen Privatwohnungen untergebracht. Das Jahr 1916 erwies sich ein weiteres Mal als einschneidend: Die Bücherei und Druckerei konnten durch die verbesserte Finanzierung in die Hospitalstraße (heute Pragerstraße) umziehen, in einer vom Börsenverein des Buchhandels zur Verfügung gestellten Etage im repräsentativen Buchhändlerhaus. Lomnitz-Klamroth war es deshalb auch möglich, hier die „Zentralauskunftsstelle für das gesamte Blindenbücherei- und -bildungswesen“ sowie eine Werkstatt für die Erfindung von Lehrmitteln zu schaffen.
Massage-Lehrbücher und eine Systematik für die Übertrager*innen
Mittlerweile waren drei Bibliotheken für Blinde entstanden, die überregional genutzt wurden: in Leipzig, in Hamburg sowie in Marburg. Die Abstimmung der Bibliotheken untereinander erwies sich jedoch als schwierig: Viele Bücher wurden mehrfach produziert. Die Bibliotheken kauften und tauschten zwar Bücher, das hatte aber zur Folge, dass sich das Angebot weitestgehend deckte und sich das Konkurrenzverhältnis weiter verstärkte.
Dies wird auch hinsichtlich des Programms der Leipziger Druckerei und Bücherei deutlich: Zu Beginn stellte man vor allem Massage-Lehrbücher her, es folgten auch wenige belletristische sowie religiöse Werke und Bücher für die Schulen. Für Marie Lomnitz-Klamroth war dies deshalb äußerst schmerzhaft, weil sie ein möglichst breites Spektrum an Literatur anbieten wollte. Oberstes Gebot war dabei die originalgetreue Übertragung des Schwarzdruckbuches, weshalb sie 1915 eine Systematik für ihre ehrenamtlichen Mitarbeiter entwickelte, an die sich diese strikt zu halten hatten. Schenkungen wurden ab diesem Zeitpunkt rigoros abgelehnt. Trotzdem hatte die Leiterin der Bücherei zunächst wenig Einfluss auf die Auswahl der Werke: Die zahlreichen Übertrager*innen neigten dazu, hauptsächlich die von ihnen präferierten Bücher zu übertragen. Erst mit den gefestigten Strukturen 1916 entschied Lomnitz-Klamroth auch darüber. So konnten z.B. diverse rechtswissenschaftliche Bücher entstehen, um zur akademischen Bildung blinder Menschen beizutragen.
Kurz gemeldet
Einmal um die ganze Welt
Mit dem Welt-Puzzle „Die Erde“ gehen blinde, sehende und sehbehinderte Kinder, aber auch Erwachsene, tastend auf Erkundungstour. Sie lernen die Erde, deren Kontinente und Ozeane spielend kennen. Jedes der acht Puzzleteile kann einzeln entnommen werden und stellt einen Kontinent dar (Ausnahme: Antarktis). Zusätzlich sind ausgewählte Inseln erhaben dargestellt. Sowohl Kontinente als auch Ozeane sind mit Brailleschrift und MAXI-Druck gekennzeichnet. Eine Orientierungshilfe in Brailleschrift (auch im MAXI-Druck vorhanden) ermöglicht blinden Kindern das Puzzle auch allein zu nutzen. So erfahren sie ganz nebenbei Wissenswertes über die Kontinente und Ozeane.
Das Welt-Puzzle ist ein sehr effektives Lernspiel für Kinder ab 6 Jahren. Es fördert die Feinmotorik und Konzentration der Kinder und eignet sich auch als Ergänzungsmaterial für den Geographie-Unterricht.
Welt-Puzzle, 8-teilig, A3, 1 Broschur in Vollschrift und MAXI-Druck, Verkauf 009698, 29,90 Euro
Neues Format für die Kinderzeitschrift GEOlino
Das Erlebnisheft für Kinder zwischen 8 und 14 Jahren vermittelt auf unterhaltsame Art jede Menge Wissen aus Natur, Tierwelt, Technik, über Menschen und Kulturen. Zu den bestehenden Formaten Vollschrift und Kurzschrift kommt nun ein drittes hinzu: weitzeilig, einseitig geprägt, mit Großschreibung, sowohl für Vollschrift- als auch für Kurzschriftleser*innen. Die weitzeilige und einseitige Prägung hilft Lese-Anfänger*innen, die Brailleschrift besser zu erlernen. GEOlino erscheint monatlich. Ein Jahresabonnement kostet 30 Euro.
Bestellungen: Telefon: 0341 7113120, E-Mail: abo@dzb.de
Mit „Klapperlapapp“ zur SightCity nach Frankfurt
Informieren, testen, ins Gespräch kommen – vom 8. bis 10. Mai 2019 findet Deutschlands größte Fachmesse für Sehbehinderten- und Blindenhilfsmittel, die SightCity, in Frankfurt a. M. statt. Im Sheraton Airport Hotel, Stand E 1, präsentiert die DZB aktuelle Publikationen aus ihrem Verlagsprogramm und informiert über Service-Angebote der Bibliothek. Am Stand haben neben Braille- und Hörbüchern auch ganz besondere Highlights Premiere, wie beispielsweise das neue Welt-Puzzle, das neue tastbare Klappbilderbuch „Klapperlapapp II“, alle geographischen Karten des Deutschlandatlasses, neue taktile Grußkarten und vieles mehr. Besucher können sich am Stand über Produkte und Serviceleistungen aus der DZB informieren. So erhalten Sie Auskunft über den Download von Hörbüchern und –filmen, neu auch über den Download von Hörzeitschriften.
Wir freuen uns auf Ihren Besuch an unserem Stand!
Witzige Geschichte mit taktilen Bildern
Vor Kurzem erschienen ist in der DZB ein Kinderbuch mit transparenten Reliefs und farbigen Illustrationen. In der Geschichte geht es um einen blauen Elefanten, der durch einen Sturz einen Schluckauf bekommt. Diesen wird er leider nicht so schnell wieder los. Er trifft viele Freunde und jeder weiß einen Rat, doch nichts hilft. Wie wird er bloß seinen Hickauf los? Ein witziges Buch mit tollen Reimen voller Wortmalereien und lebhafter Ausrufe!
Barbara Schmidt, Dirk Schmidt: Wie werd ich bloß den Hickauf los?
1 Broschur mit Ringbindung, Vollschrift und MAXI-Druck, fünf transparente Folienreliefs mit farbigen Illustrationen unterlegt, Ausleihe 18653, Verkauf 9537, 13 Euro
Interview
Ein Blick zurück und auch nach vorn
2019 ist ein ganz besonderes Jahr für die DZB. Sie wird 125 Jahre alt. Im Sommer lädt sie gemeinsam mit dem DBSV zum Louis-Braille-Festival nach Leipzig ein, um mit blinden, sehbehinderten und sehenden Menschen aus ganz Deutschland zu feiern. Und noch ein Jubiläum fällt in dieses Jahr: Seit 20 Jahren leitet Prof. Dr. Thomas Kahlisch die DZB. Ein Grund mehr auf Vergangenes zurückzuschauen, Gegenwärtiges festzuhalten und zukünftige Aufgaben zu definieren.
Herr Prof. Dr. Kahlisch, seit 20 Jahren, genau seit Februar 1999, leiten Sie die DZB. Welche gesellschaftspolitischen und technischen Entwicklungen haben Ihre Arbeit in diesen Jahren am meisten beeinflusst?
Oh, wo soll man da anfangen: Es haben sich eine Fülle von Gesetzen im Bund und im Freistaat Sachsen geändert bzw. sind dazugekommen. Es gibt in Deutschland ein Behindertengleichstellungsgesetz, die Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention der UNO, ein Antidiskriminierungsgesetz und viele Regelungen, die darauf ausgerichtet sind, dass behinderte Menschen mehr Barrierefreiheit in ihrem Alltag, im Beruf und in der Freizeit erleben. Diese Veränderungen gehen einher mit rasanten technischen Entwicklungen. Als ich als Direktor hier in der DZB begann, war das Thema Internet eine der ersten Baustellen, die wir in Angriff genommen haben. Seit zehn Jahren gibt es das Smartphone, das den Zugang zum Wissen der Welt für blinde und sehbehinderte Menschen revolutioniert hat.
Wie hat sich die DZB in dieser Zeit verändert?
1999 war die Skepsis groß, als wir das digitale Hörbuchformat DAISY in Deutschland etablierten. Wir haben im Studio mit der digitalen Produktion angefangen und die Bücher sowohl auf speziellen Abspielgeräten als auch auf einem kostenfreien Programm am PC für unsere Nutzerinnen und Nutzer verfügbar gemacht. Heute kann man unsere DAISY-Bücher mithilfe vieler verschiedener Geräte und Plattformen anhören. Die Inhalte kommen auf Knopfdruck oder per Sprachkommando ins Haus und die Hörer*innen können aus einer großen Menge von Büchern, Zeitschriften und Hörfilmspuren auswählen.
Auch in der Herstellung unserer Braillebücher hat die digitale Technik längst Einzug gehalten. Hier suchen wir noch nach Wegen, wie wir diese Texte auch online für die Leser verfügbar machen können. Ein tolles Beispiel für die Kreativität und das Engagement der DZB-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter ist der Notenservice DaCapo, über den blinde und sehbehinderte Musiker Noten zeitnah und in hoher Qualität erhalten. Dieser Dienst wird schon seit Jahren von den Kollegen der Schweizer Bibliothek und in Kürze auch in Holland nachgenutzt.
Im Bereich der Reliefherstellung setzen wir schon seit Langem auf Kollege Computer und entwerfen die Vorlagen mit einem Grafikprogramm. Auf diesem Gebiet wird es noch viele neue Entwicklungen geben, die wir für unsere Arbeit nutzen können.
Die Kommunikation mit externen Partnern, mit den Nutzern und Unterstützern hat sich auch in Bezug auf die Nutzung digitaler Verfahren wie E-Mail verändert. Wir können Informationen schneller an unsere Leserinnen und Leser per Newsletter weiterleiten oder die umfangreiche Bücherliste verbreiten.
2019 wird die DZB 125 Jahre. Wie feiert die DZB dieses Jubiläum?
Anlässlich unseres Jubiläums haben wir uns entschlossen, gemeinsam mit dem DBSV das Louis-Braille-Festival vom 5. bis 7. Juli auszurichten. Wir erwarten über 3.000 blinde und sehbehinderte Gäste in Leipzig, die unsere Arbeit sowie die Produkte und Dienstleistungen kennenlernen.
Im November soll es eine Festveranstaltung geben, zu der wir die zuständige Ministerin und viele Freunde und Förderer des Hauses einladen werden. Natürlich sind auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei, wenn gefeiert wird und wir der Politik aufzeigen, wie leistungsstark die DZB ist und welche Potenziale sie für die nächsten Jahre noch weiter ausbauen möchte.
2019 treten auch gesetzliche Urheberrechtsänderungen zugunsten von Menschen mit Seh- und Lesebehinderungen in Deutschland in Kraft. Das heißt, diese gesetzlichen Änderungen schaffen die Basis für einen schnelleren und leichteren Zugang zu barrierefreier Literatur. Welche Aufgaben stellen sich damit einer Bibliothek wie der DZB als Produktionszentrum von barrierefreien Medien?
Zu den Gründungszeiten der DZB gab es ausschließlich die Brailleschrift für die blinden Leserinnen und Leser. In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden die Braillebücher und -zeitschriften ergänzt von Hörangeboten, die sowohl von blinden als auch sehbehinderten Menschen genutzt werden. Relief- und farbliche Darstellungen wie unsere Atlanten oder Kinderbücher ergänzen schon seit einigen Jahrzehnten die Angebote unseres Hauses für alle Literaturfreunde.
Dank der neuen digitalen Technologien und der jetzt greifenden gesetzlichen Regelungen bieten sich neue Wege, Literatur an Menschen zu vermitteln, die Einschränkungen in ihrer Mobilität haben, ein Buch nicht halten können oder denen der Weg zu gedruckten Texten im allgemeinen Sinne verwehrt ist. Für diesen Personenkreis Angebote zu schaffen und gleichzeitig den traditionellen Nutzergruppen schneller und umfangreicher Lesestoff anzubieten, ist die Herausforderung, der wir uns in den kommenden Jahren stellen.
Vielen Dank, Herr Prof. Dr. Kahlisch!
Porträt
Ein Flachpass mit dem linken Fuß
Florian Eib fasziniert die Sprache ebenso wie ihn der Sport begeistert. Wer den Audiodeskriptionssprecher live bei einem Fußball- oder Handballspiel erlebt, erfährt, wie Sprache und kompetenter Sachverstand ineinander verschmelzen und so Bilder im Kopf entstehen lassen.
Vor fünf Jahren begann Florian Eib als Audiodeskriptionssprecher bei RB Leipzig. Seitdem hat er etwa 60 Spiele von RB Leipzig für sehbehinderte und blinde Fußballfans akustisch beschrieben. Später kamen Handballspiele des SC DHfK Leipzig hinzu. Bei der Fußball-WM 2018 hat Florian Eib insgesamt acht WM-Spiele beschrieben, davon mehrere Spiele des späteren Weltmeisters Frankreich und die Gruppenspiele der Brasilianer. Er erinnert sich noch sehr genau an das Spiel Deutschland gegen Südkorea: „Die deutsche National-Elf schied zum ersten Mal bei einer WM überhaupt in der Vorrunde aus. Mit dieser Situation hatte niemand gerechnet, selbst die Kollegen vom ZDF waren perplex. Wir mussten natürlich trotz des schlechten Spiels die passenden Worte finden.“
Live beschreiben, was auf dem Spielfeld los ist
Früher spielte der 28-Jährige selbst Fußball. Später war er Fußball-Schiedsrichter in der Leipziger Stadtliga und ist manchmal auch heute noch als solcher an Wochenenden aktiv. Handball, Volleyball oder Eishockey – das sind alles Sportarten, die er schon live beschrieben, aber selbst nicht gespielt hat. Das heißt für den Sprecher, sich intensiv mit diesen Mannschaftsspielen zu beschäftigen, sich mit Experten auszutauschen und wichtige Kenntnisse für Spielbeschreibungen zu sammeln. Enorm wichtig bei einer Live-Audiodeskription sei eine gute Vorbereitung auf das Spiel, erklärt Florian Eib, der seine Masterarbeit zum Thema „Die Sprache bei Fußballreportagen“ schrieb. Weil der Sprecher das gesamte Spiel aufmerksam verfolgen muss, hat er während des Spiels keine Zeit, Hintergrundinformationen aus Aufzeichnungen nachzulesen. „Es kann helfen, sich Besonderheiten von Spielern regelrecht einzuprägen, zum Beispiel die Körpergröße. Die besten Torschützen der Mannschaften mit genauer Toranzahl sollte man immer im Kopf haben und natürlich das Alter des Trainers“, meint Florian Eib. „Ich wende hierfür viel Zeit auf. Die Vorbereitung dauert schon mal vier bis fünf Stunden für ein Spiel.“
Mehr Bilder, weniger Emotionen erzeugen
Eine Spielbeschreibung findet meist mit zwei Reportern statt, die sich einander abwechseln. Audiodeskription beim Sport sollte deutlich detaillierter als eine Radio-Reportage sein, die eher auf Spielspannung und Emotionen setzt, meint der Sportjournalist. So werden grundlegende Spielbewegungen, wie Passfolgen, Angriffe über eine bestimmte Spielfeldseite, Positionen auf dem Spielfeld und Torwartaktionen beschrieben. „Poulsen lässt mit einer Körperdrehung links an der Außenseite seinen Gegnerspieler stehen, sprintet bis zur Grundlinie fünf Meter von der Eckfahne entfernt. Dann ein Flachpass mit dem linken Fuß, der exakt bis auf den Elfmeterpunkt kommt. Da stand Demme komplett frei, Annahme mit dem rechten Fuß und dann ein ‚Schlenzer‘, rechts oben in den Winkel. Torhüter Fährmann konnte aus dieser Distanz zwar noch ins richtige Eck springen, den Ball aber nicht mehr erreichen.“ Diese klare und schnelle Beschreibung dauert maximal 20 Sekunden und gibt exakt das wieder, was auch ein Sehender von der Szene mitgenommen hat.
Fußball-Fan Maurice Schönefeld lobt die sprachliche Versiertheit und Sachkenntnis des Sprechers: "Florians Fußball-AD ist immer spannend zu verfolgen, da er selbst als Schiedsrichter tätig ist und uns dadurch viele Entscheidungen erklären kann. Er kommentiert mit großem Wissen, angenehmer Stimme und versucht durch schnelles Sprechtempo, möglichst viele Informationen zu vermitteln. Dadurch bekommt man immer genau mit, was sich auf dem Spielfeld ereignet."
Hörbücher statt Fußballspiele
Der gebürtige Thüringer – groß, schlank, kurze schwarze Haare – lebt seit 2010 in Leipzig. Die Stadt gefällt ihm, weil sie die optimale Mischung aus Großstadtflair und Idylle biete und geschichtlich sehr interessant sei. Schon immer hatte er den Traum, mit seiner Stimme zu arbeiten und mittels Sprache Bilder im Kopf anderer zu erzeugen. Das war auch der Grund, warum er Sprech- und Sprachwissenschaft in Leipzig studierte, nebenbei verschiedene Jobs als Sprecher hatte und seit 2017 als Hörbuchsprecher in der DZB tätig ist. Zweimal in der Woche kommt er ins Studio und kann hier seine Stimme auch künstlerisch zum Einsatz bringen. Zurzeit liest Florian Eib den Roman „Sisis Vermächtnis“ von Ulrike und Manfred Jacobs. Darin geht es zum einen um eine Liebesgeschichte in der Normandie, zum anderen um das Vermächtnis der Kaiserin Sisi, um Staatsgeheimnisse und diplomatische Verstrickungen zwischen Österreich und Frankreich. „Wenn ich einem Roman meine Stimme gebe, dann muss ich eine Beziehung zum Buch und seinen Figuren aufbauen. Das hat schon etwas mit Empathie zu tun“, meint Florian Eib.
Ideen für die Zukunft
Ein Hörbuchsprecher sollte auch stimmlich fit sein, das heißt, er muss mehrere Stunden gut lesen können, ohne heiser zu werden, betont Florian Eib, der als Sprechtrainer hier natürlich seine Kenntnisse praktisch anwenden kann. Das Schöne an seiner Arbeit ist, dass sie auch gleichzeitig sein Hobby ist. Ein Stück Lebensqualität, die ihm wichtig ist. Florian Eib hat noch einige Ideen im Kopf, die er in Zukunft angehen möchte. Beispielsweise reizt ihn die Audiodeskription bei Olympischen Spielen, auch den Wintersport findet er interessant und natürlich Filmbeschreibungen. Wir werden ganz bestimmt noch von ihm hören!
Leipziger Buchmesse
„Leipzig liest“ in der DZB
Bitte vormerken: Vom 21. bis zum 24. März findet die Leipziger Buchmesse 2019 statt. An diesen Tagen treffen sich in Leipzig große und kleine Verlage, renommierte Autoren, aber auch junge Talente und viele, viele Buchliebhaber. Die DZB ist wieder mit dabei und präsentiert ihr Verlagsprogramm in Messehalle 3 am Stand B 301. Sie erwartet aber nicht nur dort viele interessierte Besucher. Sie lädt auch im Rahmen des Lesefestivals „Leipzig liest“ zur Buchlesung in ihr Haus ein. Im eigenen Domizil wird am 22. März, 18 Uhr der Autor Johannes Herwig aus seinem Jugendbuch „Bis die Sterne zittern“ lesen. In dem Buch geht es um die Leipziger Meuten, eine Jugendclique, die in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts gegen die Forderungen der Nationalsozialisten rebelliert. Fesselnd und emotional erzählt Johannes Herwig vom 16-jährigen Harro, der sich den Leipziger Meuten anschließt und in der Zeit der Willkürherrschaft der Nazis erwachsen wird. Das Buch wird in der DZB als Braille- und Hörbuch produziert.
Besuchen Sie die DZB am Messestand und kommen Sie zur Lesung in die DZB! Wir freuen uns auf Sie: Halle 3 Stand B 301 – von 10 bis 18 Uhr
Jennifer Sonntag über ihr Buch „Der Geschmack von Lippenrot“
Im März 2019 zur Leipziger Buchmesse erscheint Jennifer Sonntags neues Buch "Der Geschmack von Lippenrot" zunächst im Schwarzdruck, demnächst auch im DAISY-Format. Ihr Ratgeber möchte blinde und sehbehinderte Frauen dazu anregen, ihre eigene Weiblichkeit und Sinnlichkeit wahrzunehmen und sich mit ihrem äußeren und inneren Spiegelbild auseinanderzusetzen. Wichtig ist der Autorin, Selbstbewusstsein und Selbstwahrnehmung ihrer Leserinnen zu stärken. Das Buch beinhaltet neben einer Kosmetikkunde auch eine Schminkschule und eine Anleitung in Sachen Stil und Outfit. Dazu hat Jennifer Sonntag umfangreiches Material aus ihren Vorträgen, Seminaren und Workshops gesammelt, das von Interviews dreier Expertinnen ergänzt wird. Im Folgenden erzählt die Autorin und Moderatorin von „SonntagsFragen“, einer Sendung des MDR Fernsehens, warum sie sich so gern schminkt und wie für sie Lippenrot schmecken soll.
Schminken ist ein Ausdruck der Sinnlichkeit
Warum haben Sie aus dem Material Ihrer Vorträge und Workshops ein Buch gemacht?
Ich habe gemerkt, dass wir Menschen, egal ob sehend oder nicht, ob Mann oder Frau, im Grunde erst einmal in unseren inneren Spiegel blicken müssen, um uns selbst und unsere Mitmenschen zu verstehen. Innerhalb meiner sozialpädagogischen Tätigkeit habe ich Materialien für blinde Menschen entwickelt und an verschiedenen Kursen gearbeitet. Das war schon immer ein wichtiges Thema für mich und mir war klar, dass das optische Spiegelbild nicht die einzige Wahrheit ist. Nur wer auch in seinen inneren Spiegel schaut, kann glücklich werden.
Aber die Themen ihres Ratgebers befassen sich doch vor allem mit der äußeren Erscheinung: Schminken, Outfit und Stil …
Schminken steht deshalb im Vordergrund, weil ich festgestellt habe, dass es in der sehenden Welt ganz viele Ratgeber gibt. Nahezu täglich entstehen neue Beiträge in den verschiedensten Medien. Doch das letzte Buch „Die Kunst des Schminkens“, eigentlich auch das einzige für blinde Frauen, ist vor 50 Jahren von einem erblindeten Model geschrieben und veröffentlicht worden. Übrigens gibt es das Buch in Punktschrift in der DZB. Seitdem ist da nie wieder ein Buch erschienen. Das ist schade, denn die Beauty-Welt dreht sich weiter und für uns blinde Frauen gibt es ganz wenig Ratgeber-Literatur dazu. Und diese wollte ich einfach ein bisschen überarbeiten – auch aus meiner Sicht als Sozialpädagogin. Im LPF-Training gibt es ja verschiedene Techniken, die vermittelt werden können. Wenn blinde Frauen das Bedürfnis haben sich zu schminken, gibt es spezielle Kurse, die sie besuchen können. Meistens werden diese aber nicht so häufig angeboten und finden nicht in der Stadt statt, in der man lebt. Es gibt jetzt auch eine tolle blinde Youtuberin, die kleine Schmink-Videos ins Netz stellt. Ich bin froh, dass sich da etwas entwickelt. Aber es ist bei Weitem nicht so viel wie in der sehenden Welt. Blinde Frauen sind ja auch Frauen. Sie schnuppern gern an Parfümflakons, gehen mit Lippenstift und Puderdose um. Sicherlich nicht alle, aber einige. Und für diese Frauen sollte es einfach mehr Ratgeber-Angebote geben. Das war mein Wunsch mit diesem Buch.
Sie machen in ihrem Buch Schönheit, Sinnlichkeit und Weiblichkeit zu ihrem Thema. Welche Rolle spielen diese Dinge für Sie?
Schönheit und Sinnlichkeit geben mir ganz viel Kraft. Also wenn ich zum Beispiel krank bin, dann tut es mir gut, wenn mich schöne Dinge umgeben. Ich werde schneller gesund, wenn ich einen schönen Duft um mich habe, ein schönes Schmuckstück, einen roten Lippenstift. Zur Sinnlichkeit und Schönheit gehört für mich aber auch eine gewählte Sprache, also, wie rede ich mit dem anderen, wie begegne ich dem anderen auch akustisch, welche Worte benutze ich. Jeder kann sich ganz bewusst schöne Momente im Alltag schaffen. Das Leben ist manchmal anstrengend genug. Ich habe festgestellt, dass ich die Unannehmlichkeiten des Alltags besser am Kragen packen kann, wenn ich mich mit etwas Schönem befasse.
Warum sollten blinde Menschen sich mit ihrem äußeren Erscheinungsbild auseinandersetzen?
Das Buch ist eigentlich für die Menschen, die ihre innere Schönheit schon gefunden haben, die Freude an Mode, Stil, an ihrer optischen Wirkung haben. Ich persönlich habe die Freude daran nie verloren, weil mir das Spaß macht, mich mit Formen, mit Farben, Ästhetik zu befassen. Ich möchte mich nicht für Sehende schön machen. Es geht mir vor allem um die Wertschätzung sich selbst gegenüber, sich zu pflegen, schön zu duften, eine schöne Haut und gepflegte Haare zu haben. Für mich ist diese Selbstwertschätzung, diese Selbstliebe immer oberstes Gebot, erst danach mache ich mich auch für andere Leute schön. Das beides spielt natürlich zusammen. Aber viele Image-Ratgeber für Sehende gehen nur von diesem oberflächlichen Aspekt aus. Auch wenn ich in meinem Buch sehr viel über die äußere Erscheinung und die Beauty-Welt schreibe, möchte ich betonen, dass Lippenstift und Wimpernspirale nur dann wahrhaftig wirken, wenn wir uns auch mit unserem inneren Spiegelbild befassen.
Nun könnte es ja sowohl sehende wie auch blinde Frauen geben, die Schminktöpfchen und Lippenstift mit einer negativen Note belegen, wegen des typisch weiblichen Rollenklischees. Was können Sie dieser Sichtweise entgegensetzen?
Ich möchte denen gar nichts entgegensetzen. Für mich ist ganz wichtig, dass sich jeder stimmig fühlt, in seinem Körper und in seiner Haut. Wenn blinde Frauen sich nicht schminken möchten, dann ist das auch völlig in Ordnung. Ich finde nur, blinde Frauen sollen die Möglichkeit bekommen, Einblick in die Kosmetik- und Beauty-Welt zu erhalten. Sie können sich ja nicht so wie sehende Frauen, überall umschauen, beispielsweise im Fernsehen Prominente in neuen Kleidern bewundern, in Schaufenstern tolle Kleidung sehen oder auch Make-up-Tipps in Zeitschriften und Büchern lesen. Da gibt es ein gewisses Defizit. Und manchmal kommt dann die Aussage: „Na, wenn ich es nicht sehe, dann mache ich es eben nicht.“ So wie der Fuchs, der nicht an die Trauben kommt. Und das finde ich schade für diejenigen, die gar nicht die Wahl hatten zu sagen: Nein, ich schminke mich nicht. Deshalb habe ich in meinem Buch auch Vieles konkret beschrieben, so dass es sich blinde Frauen gut vorstellen können. Sehende Make-up-Artisten und Stilberater denken oft in der Welt der Sehenden und beschreiben deshalb ganz anders oder gar nicht.
Frau Sonntag, am Schluss noch eine Frage, die sich an eine Ihrer Sonntagsfragen anlehnt: Wie schmeckt für sie Lippenrot, das sie mögen?
Ein Lippenrot, das ich mag, riecht ein bisschen nach Theaterkulisse. Ich mag Lippenstifte, die etwas Pudriges haben, die auch etwas nach Vergangenheit schmecken. So wie die Frauen, die sich früher zurechtgemacht haben. Damals hatte das Schminken ja etwas mehr Charisma. Lippenstift muss für mich schon einen gewissen Zauber haben, so ganz geruch- oder geschmacklos darf er nicht sein.
Vielen Dank, Frau Sonntag!
Jennifer Sonntag: Der Geschmack von Lippenrot, Preis 19,95 Euro (Schwarzdruck oder DAISY-Hörbuch), Vorbestellungen für das demnächst erscheinende Hörbuch nehmen wir gern entgegen. Telefon: 0341 7113119, E-Mail: verkauf@dzb.de
Steckbrief
Jennifer Sonntag, Jahrgang 1979, studierte Sozialpädagogik in Merseburg. Mit etwa 18 Jahren erfuhr sie, dass sie aufgrund einer Erbkrankheit ihr Augenlicht verlieren würde. Ihr Ziel, als Streetworkerin in der Drogenhilfe zu arbeiten, gab sie auf und orientierte sich auf Reha-Pädagogik um. 16 Jahre arbeitete sie im Berufsförderungswerk für sehbehinderte und blinde Menschen (BFW) in Halle. Heute setzt sie sich als Inklusionsbotschafterin der Interessenvertretung „Selbstbestimmt Leben“ in Deutschland e.V. für die Belange von sehbehinderten und blinden Menschen ein. Jennifer Sonntag arbeitet als Autorin, moderierte im MDR Fernsehen die „SonntagsFragen“ und interviewt jetzt in der MDR-Talksendung „Mit anderen Augen“ ihre Gäste.
Gelesen und empfohlen
Dit Huus is mien und doch nich mien
„Altes Land“ von Dörte Hansen – empfohlen von Caroline Schürer (Bibliothekarin)
Das Haus ächzt und knackt. Im Winter lässt es seine Bewohner frösteln. Eingriffe in seine Substanz werden drastisch bestraft und lassen seine kantige Hüterin Vera Eckhoff in schlaflosen Nächten wachen. Aber es birgt auch Unterschlupf für gleich zwei Generationen heimatloser Frauen. Das Flüchtlingskind Vera aus Preußen und ihre Nichte Anne, geflohen aus Hamburg Ottensen, wo ihr Mann eine neue Familie gründet. Beide sind sich zunächst noch fremd und finden doch bald Halt aneinander.
Dörte Hansen hat ein ungeheuer gut lesbares Buch geschrieben. Ihre Figuren, über mehrere Generationen sesshaft im Alten Land, beschreibt sie mit großem Respekt und Einfühlungsvermögen. Ich habe den Test gemacht und Bekannte gefragt, die in diesem Landstrich aufgewachsen sind: Sie haben sich in den Figuren wiedererkannt, die wortkarge Dickköpfigkeit der Menschen und deren Zusammenhalt bestätigt, nebenbei das Plattdeutsche sehr genossen und als authentisch durchgewinkt.
Das einzige, was ich dem Buch vorwerfen könnte, ist das Zuviel an Stereotypen: eine Waldorflehrerin, die ausgerechnet Urte heißt und der zugezogene Pseudo-Aussteiger aus Hamburg, der natürlich mit dem Liegerad über den Deich fährt.
1 CD DAISY (6:51 h), Ausleihe 33426
Übrigens: Das aktuelle Buch „Mittagsstunde“ von Dörte Hansen können Sie auch bei uns ausleihen (8:25 h, Ausleihe 45565).
Wahrheit oder Fake-News?
„Der Mitternachtsberg“ von Jean-Marie Blas de Roblès – empfohlen von Gabi Schulze (Redakteurin)
Was ist Wahrheit und was ist Lüge? Auch wenn die Fakten noch so klar auf dem Tisch liegen. Einmal eine Lüge verbreitet, bleibt - trotz ihrer Entlarvung – meist noch ein Rest Unwahrheit bestehen: „Die Leute halten sich eben gern an die Wahrheiten, die in ihre Weltsicht passen.“
Bastian, Hausmeister an einem französischen Lyzeum, liebt Tibet, kann sowohl Sanskrit als auch Tibetisch und hilft Studenten bei der Übersetzung von Texten in diese Sprachen. Sein größter Traum ist es, einmal nach Tibet zu reisen. Als ihm wegen seines Alters gekündigt wird und er damit auch seine Wohnung verliert, trifft er zufällig die Historikerin Rose mit ihrem fünfjährigen Sohn Paul. Zwischen dem alten geheimnisvollen Einzelgänger und der alleinerziehenden Mutter, Mitte 40, entwickelt sich eine außergewöhnliche Freundschaft. Beide vereint die Leidenschaft zu Tibet und die fernöstlichen Kulturen. Rose erkennt in ihm einen sehr belesenen und herzensguten Freund, der ihr irgendwie Halt gibt und ihre Ängste nimmt. Und so lädt sie ihn zu einer Reise nach Tibet ein. Diese nimmt dann einen unerwarteten Ausgang. Am Ende erzählt Bastian Rose sein dunkles Geheimnis, das sie sehr erschüttert und zu Nachforschungen anregt. Die Historikerin sucht nach der Wahrheit und findet einen Mythos, der auf Fiktion und vielen Lügen beruht.
Ein Buch über eine besondere Freundschaft, einen wundersamen Ort und die Suche nach der Wahrheit!
Jean-Marie Blas de Roblès: Der Mitternachtsberg, S. Fischer Verlag, 2017
Der Roman kann in der Zeitschrift „Literaturtreff 2019“ in Fortsetzungen gelesen werden. Woche für Woche erhalten Abonnent*innen Romane in Fortsetzungen. Mehr Informationen über die Bücher des „Literaturtreffs 2019“ und das Abonnement finden Sie unter www.dzb.de (Verkauf/Abonnements/Zeitschriften)
Technik getestet
Aktuelle DAISY-Wiedergabeprogramme – Wie man sich mit diesen in DAISY-Büchern bewegen kann?
Der alte DaisyLeser, der von der DZB entwickelt wurde, ist leider unter Windows 7 und 10 nicht mehr einsetzbar. Die Firma Dräger und Lienert hat ihn zum MAX DaisyPlayer weiterentwickelt. Unter Windows 7 läuft der MAX DaisyPlayer gut, ich setze ihn dort des Öfteren ein. Unter Windows 10 mit 64 Bit hatte ich vor einiger Zeit meine Probleme. Gegenwärtig läuft der MAX DaisyPlayer nicht absolut stabil. Der MAX ist – wie der DaisyLeser – ein relativ einfach zu bedienendes DAISY-Wiedergabeprogramm. Gerade das Navigieren im Hörbuch, einschließlich das Wechseln der Ebenen, funktioniert mit den vier Cursortasten. In eine Unterebene hineingehen und sich dort weiterbewegen sowie das Zurückgehen auf die nächst höhere Ebene verläuft genauso wie im Windows Explorer (mit Cursor rechts hinein, anschließend Cursor nach unten und mit Cursor links wieder zurück). Das ist einfach und genial gelöst.
AMIS – Navigation nicht ganz zufriedenstellend
Wenn ich hier etwas zu AMIS, dem zweiten DAISY-Wiedergabeprogramm, schreibe, dann ist natürlich die Variante des Kompatibilitätsmodus mit Text to Speech gemeint, denn nur darüber läuft es überhaupt zufriedenstellend mit DAISY-Hörbüchern. Diese Programmvariante muss im Startbereich des PC im Untermenü von AMIS ausgewählt und über die rechte Maustaste bzw. Kontexttaste eingestellt werden. Das Navigieren in einem DAISY-Hörbuch, vorwärts oder rückwärts, ist zwar kein Problem, denn das funktioniert bei AMIS mit Cursor abwärts bzw. Cursor aufwärts, wie beim alten DaisyLeser und auch beim MAX DaisyPlayer. Aber das Bewegen durch unterschiedliche Ebenen, und wenn es auch nur zwei Ebenen sind, ist beim AMIS kein Lustgewinn. Das funktioniert mit Strg plus „p“ für in die nächste untere Ebene und mit Strg plus „q“ für den Rückwärtsgang, also aus der unteren in die nächst höhere Ebene. Im Menü gibt es dazu auch eine Funktion „Zeige Navigationsebene“ (z) in der Spalte Navigation. Dort werden die Ebene oder die Ebenen dargestellt, die im Hörbuch verfügbar sind. Zwischen diesen kann man mit Cursor ab- oder aufwärts wechseln. Bestätigt man das mit Enter, hat man auch in die andere Ebene gewechselt. Diesen Untermenüpunkt kann man direkt mit Alttaste plus „n“ und anschließend „z“ erreichen. Ich finde, da ein DAISY-Buch gerade seine Qualität im Navigieren durch die unterschiedlichen Ebenen besitzt, ist diese Funktionsweise bei AMIS nicht gut programmiert worden. Ändern kann man dies leider nicht. Der AMIS wechselt zwar bequem von Phrase zu Phrase, also ungefähr von Satz zu Satz, mit den Cursortasten nach rechts für vorwärts und nach links für rückwärts. Das macht der MAX mit „f“ für vorwärts und „d“ für rückwärts. Beim alten DaisyLeser waren das „p“ und Umschalt plus „p“. Ich denke, beim MAX DaisyPlayer ist das insgesamt ganz sinnvoll gelöst, besser als beim AMIS.
Legantoo – das komplexe Programm
Als weiteres DAISY-Wiedergabeprogramm gibt es Legantoo (mit Doppel o). Die Internetadresse dafür lautet ebenso: www.legantoo.de.
Bei Legantoo funktioniert es wieder mit den vier Cursortasten, wie beim MAX und dem alten DaisyLeser. Das finde ich sehr schön. Allerdings haben die Phrasen keine Kurztasten für deren Bedienung. Mit Alttaste plus „n“, gefolgt von „p“ für Phrase und dann „n“ für nächste Phrase oder „v“ für vorige Phrase, kann man von Satz zu Satz springen. Das empfinde ich als etwas umständlich. Der MAX belegt da einfach „f“ und „d“ für Phrase vorwärts und rückwärts. So etwas wünsche ich mir beim Legantoo auch. Unter Windows 10 mit 64 Bit hatte ich mit Legantoo bisher nie Probleme. Auch unter Windows 7 läuft die Software ohne Schwierigkeiten. Legantoo ist aber nicht nur ein DAISY-Wiedergabeprogramm, es kann noch allerhand mehr abspielen, wie z. B. Bookshare-Produkte, E-Books, reines MP3 unter Hörbücher. Das macht das Programm komplexer und somit auch nicht so einfach in der Bedienung. Man muss sich am Anfang intensiv mit dem Programm beschäftigen. Dann bekommt man es schon gut in den Griff.
Englischsprachige DAISY-Wiedergabeprogramme gibt es bei www.daisy.org eine ganze Reihe. Deutschsprachige und auch für Windows 10 Taugliche kenne ich, außer den hier dargestellten drei Programmen, keine weiteren.
Fragebogen
Sechs Fragen – sechs Antworten
Was ist Ihre Aufgabe in der DZB?
Ich bin einer von drei Aufnahmeleitern in der DZB. Bei meiner Arbeit im Studio mache ich Audioaufnahmen von Büchern und Zeitschriften, die dann von der DZB im DAISY-Format zur Ausleihe oder online zur Verfügung gestellt werden.
Welche Arbeit haben Sie gerade auf dem Tisch?
Gerade eben bearbeite ich das Buch „Die Mutter des Satans“. Dies ist ein historischer Roman über Luther, wobei der Fokus dieser Geschichte auf Luthers Mutter liegt. Es ist ein sehr faszinierendes Buch, welches durch Vermischung historischer Fakten mit Fiktion, einen sehr gut nachvollziehbaren, fast realistischen Einblick in den Alltag dieser Zeit gibt.
Aber grundsätzlich bearbeite ich, wie auch meine Kollegen, ca. zehn Bücher gleichzeitig.
In meiner Freizeit beschäftige ich mich am liebsten mit …
Ich versuche Sport in meinen Alltag zu integrieren. Das klappt mal mehr und mal weniger gut. Früher habe ich noch regelmäßig Musik gemacht. Das klappt gegenwärtig aus zeitlichen Gründen nicht mehr so gut.
Welche drei Dinge würden Sie auf eine Insel mitnehmen?
Meinen Sohn, meine Freundin und meine Badehose.
Haben Sie ein Buch, das Sie empfehlen können?
Für Geschichtsinteressierte empfehle ich das Buch „Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert“ von Ulrich Herbert. Während ich es an der DZB bearbeitete, beeindruckte mich an diesem Buch, dass es komplexe Sachverhalte deutscher Geschichte wissenschaftlich aufarbeitet und aus mehreren Perspektiven in einfacher, leicht verständlicher Sprache, trotz seiner 1400 Seiten, dennoch kurzweilig präsentiert.
Ihr Lebensmotto?
Zur Beantwortung dieser Frage musste ich erst einmal einen Test auf testedich.de absolvieren und dieser ergab, dass ich folgendes Lebensmotto habe: "Lerne von gestern, lebe heute, plane für morgen! Und ruhe dich heute Nachmittag aus." Genau das werde ich machen.
Rätsel
Machen Sie mit und gewinnen Sie!
Wir wollen wissen: Die DZB wurde 1894 als Verein gegründet. Wie heißt deren erste Leiterin?
Schicken Sie Ihre Antwort bis 3. Mai 2019 per E-Mail (presse@dzb.de) oder per Post an: DZB, Kennwort: Rätsel „in puncto DZB“, Gustav-Adolf-Straße 7, 04105 Leipzig
Das können Sie gewinnen: Reliefkalender 2019 „Eine Deutschlandreise“.
Mitarbeiter der DZB können nicht teilnehmen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Auflösung aus 4/2018
Die richtige Antwort lautet: Crime und ZeitWissen.
Der glückliche Gewinner heißt: Marco Höster. Herzlichen Glückwunsch!
Sudawo – Such das Wort
Suchen Sie das Wort, das sich aus allen 9 Buchstaben bilden lässt.
Beispiel: HLNAAMDBE
Lösung: Abendmahl
- SEHARENCW
- OGSENLGIV
- LETENGGIE
Auflösung siehe unten.
Weitere Rätsel finden Sie in „Sudawo“ (1 Bd., Vollschrift, BN-Verkauf 8154, 1 Bd., Kurzschrift, BN-Verkauf 8155, je 12 Euro).
Impressum
Herausgeber, Herstellung, Vertrieb
Deutsche Zentralbücherei für Blinde (DZB)
Gustav-Adolf-Straße 7, 04105 Leipzig
Tel.: 0341 7113-0, Fax: 0341 7113-125
E-Mail: info@dzb.de
www.dzb.de
Redaktion
Gabi Schulze
Tel.: 0341 7113-148, E-Mail: gabi.schulze@dzb.de
Abonnements, Anzeigen
Sylvia Thormann
Tel.: 0341 7113-120, E-Mail: abo@dzb.de
»in puncto DZB« wird vier Mal im Jahr kostenfrei per E-Mail versandt und online unter www.dzb.de veröffentlicht.
Die Zeitschrift erscheint kostenpflichtig wahlweise als CD DAISY sowie in Blindenkurzschrift.
- Jahresbezugspreis Braille-Ausgabe: 9 Euro
- Jahresbezugspreis CD DAISY: 9 Euro
Das kostenpflichtige Abonnement gilt bis zum Ende des Kalenderjahres und verlängert sich automatisch um ein Jahr, wenn es nicht spätestens bis zum 30. September gekündigt wird. Bei Bestellung im laufenden Kalenderjahr erfolgt die Preisberechnung anteilig.
Es gelten unsere AGB. Die vollständigen AGB finden Sie im Internet unter www.dzb.de/agb, auf Wunsch senden wir Ihnen diese gern zu.
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Auflösung Sudawo
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- Gegenteil